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„Celler Loch“ - Fakten klar ...

... aber unterschiedliche Bewertungen / CDU/FDP: Alles rechtmäßig / Grüne und SPD: Rechtswidrig  ■  Aus Hannover Jürgen Voges

Der Parlamentarische Untersuchungsauschuß zum Celler Loch hat nach 135 Sitzungen und dreijährigen Recherchen über die Machenschaften des niedersächsischen Verfassungschutzes und die Zusammenarbeit des Geheimdienstes und der Polizei des Landes mit dem Lockspitzel Werner Mauss seine Arbeit abgeschlossen.

Das Ergebnis: Ein dreihundert Druckseiten starker, von den Auschußmitgliedern aller Parteien getragener Untersuchungsbericht, an den sich drei von den Grünen, der SPD und der CDU/FDP-Koalition verfaßte Bewertungen der Ergebnisse anschließen, die zu diametral gegensätzlichen Aussagen kommen.

Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Niedersächsischen Landtag verlangte schon am Montagabend den Rücktritt von Ministerpräsident Ernst Albrecht, da der Untersuchungsauschuß ihn „der Abgabe einer unwahren Regierungserklärung zum Celler Loch, der Lüge vor dem Parlament wie des Verstoßes gegen die Landesverfassung überführt“ habe. Auch der Obmann der SPD im Celler-Loch -Auschuß, der Abgeordnete Willi Waike, legte gestern dem Ministerpräsidenten nahe, „nun von sich aus die Konsequenzen zu ziehen und zurückzutreten“ - denn an der Regierungserklärung, mit der Ernst Albrecht im April 1986 den Anschlag des Verfassungschutzes auf das Celler Gefängnis gerechtfertigt hatte, „stimmt bis auf das Datum und die Anrede überhaupt nichts“.

Die Vertreter von CDU und FDP im Ausschuß bezeichneten gestern hingegen den vom Verfassungschutz im Sommer 1978 inszenierten Sprengstoffanschlag auf die Mauer der JVA Celle als „rechtmäßig und aus damaliger Sicht notwendig“. Für sie gibt es „keinen Skandal des niedersächsischen Verfassungschutzes oder der Polizei“, sondern lediglich im Zusammenwirken mit dem Agenten Mauss „in einzelnen Fällen Rechtsverstöße einzelner Beamter“.

Den Celler Anschlag aus dem Jahre 1978, mit dem ein Versuch der Befreiung des Gefangenen Sigurd Debus vorgetäuscht werden sollte, bezeichnete der Abgeordnete Jürgen Trittin am Montag „als nur ein - wenn auch nur krasses Fortsetzung auf Seite 2

Beispiel für die Verluderung der Albrechtschen Sicherheitspolitik“. Der Untersuchungsausschuß, der sich neben dem Celler Loch auch mit der „Operation Neuland“ und allen anderen Fällen der niedersächsischen Zusammenarbeit mit Werner Mauss wie der „Sonderkommission Zitrone“ und dem Fall Düe zu befassen hatte, sei immer wieder auf ein niedersächsisches Lockspitzelsystem gestoßen, „mit dem keine Straftaten verhindert oder aufgeklärt werden sollten, sondern versucht wurde, Dritte zu neuen Straftaten anzustiften“.

Werner Mauss selbst sei nicht nur im Fall Düe als Lockspitzel aufgetreten, auch im Rahmen der Sonderkommission Zitrone habe er mit

Hilfe von Vorzeigegeld in Höhe von 380.000 DM einen versuchten Brandanschlag provoziert, und damit „keine Erpressungen aufgeklärt, sondern Täter produziert“.

Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Arbeit des Untersuchungsauschusses ist für den Grünen Fraktionsvorsitzenden die Verwicklung des niedersächsischen Verfassungsschutzes in den vom spanischen Geheimdienst verübten Mordanschlag auf den Führer der Befreiungsbewegung der Kanarischen Inselns, Antonio Cubillo, über den man in Hannover im Rahmen „Operation Neuland“ vorab informiert gewesen sei und den man dennoch nicht verhindert habe. Die Erfolge bei der Aufklärung und Verhinderung schwerer Straftaten, die Ministerpräsident Ernst Albrecht in seiner Regierungserklärung reklamierte, haben sich sowohl nach Auffassung der Grünen als auch der SPD im Zuge der Ausschußarbeit in Luft aufgelöst. Soweit überhaupt Straftaten nach dem Verfassungsschutzanschlag aufgeklärt wurden, hat sie nach Auffassung der Grünen der Verfassungsschutz selbst inszeniert. Sowohl SPD als auch Grüne listen eine ganze Reihe gesetzlicher Bestimmungen auf, gegen die Polizei und Verfassungsschutz verstoßen haben bis hin zur niedersächsischen Landesverfassung.

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