: Blinden-Kino in Paris
■ Am 16.Oktober hat „Audiovision“ Premiere, ein Verfahren, das es Blinden ermöglicht, an ganz normalen Filmvorführungen teilzunehmen
Zur Premiere am 16. Oktober gibt es Indiana Jones: Zum ersten Mal in Europa wird das neu entwickelte „Audiovision„ -Verfahren es auch Blinden ermöglichen, in einem (fast) gewöhnlichen Kino an einer Filmvorführung teilzunehmen, und zwar gemeinsam mit Sehenden.
August Coppola, Bruder von Francis, Direktor der San Francisco State University School of Creative Arts, ist der Urheber und Förderer dieses Verfahrens. Er beschreibt es folgendermaßen: Dem blinden Kinogänger werden über einen nicht abgeschlossenen Kopfhörer Haiku-ähnliche Texte eingeflüstert, die die Vorgänge des Films sowie Stimmungen der Bilder und das Spiel der Schauspieler wiedergeben oder besser: suggerieren sollen. Die Sprecher müssen sich dabei so neutral wie möglich verhalten, um der Tonspur und damit der Stimmung des Films nicht entgegenzuarbeiten. Das Komplizierteste hierbei ist die Umsetzungsarbeit (Deskription) von Bildern in Worte. Ihre Auswahl hat so zu erfolgen, daß sie so genau wie möglich nicht zuviel verraten und knapp bemessen sind. Denn die Deskription darf sich mit den gewöhnlichen Dialogen nicht überkreuzen und der Musik und den Geräuschen nicht die Ausdruckskraft rauben.
Das Konzept wurde in San Francisco auf der Creative Art School von August Coppola und Gregory Frazier, dessen bester Freund plötzlich erblindet war, in Zusammenarbeit mit Linguisten und Blinden ausgearbeitet und von Pariser Studenten in die französische Sprache übertragen. Technische Probleme - wie etwa die Frage, wo die weitere Tonspur hin soll, auf der sowieso schon überladenen Filmrolle - sind inzwischen gelöst: Hochfrequenzausstrahlungen innerhalb des Kinosaals machen's möglich.
Das System wurde zum ersten Mal mit Kurzbeiträgen auf dem diesjährigen Filmfestival von Cannes vorgestellt und stieß dort, wie jetzt auch in Paris, auf weitgeöffnete Ohren. Auf der Welt gibt es immerhin über 30 Millionen Blinde, von denen einige mit Sicherheit Film- und Kinofans werden könnten, falls die Filmproduktions- und -vetriebsindustrie sowie die Kinos das System annehmen würden. Hierbei müßten jedoch 50.000 Dollar Deskriptionskosten pro Film und die technischen Ausrüstungen der Kinos von den Blinden eingespielt werden, wenn man zunächst von der geplanten Ausweitung auf den Videomarkt absieht.
Getragen und unterstützt wird das Audiovision-Verfahren in Paris von Planete Magique, einem neu entstehenden Kulturzentrum mit einem ausgerüsteten Kino, von der Blindenvereinigung Valentin Hauy sowie von dem französischen Kulturministerium.
Roland Platte
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