: Der Detektiv aus dem Norden
■ Gunnar Staalesens Krimi „Die Frau im Kühlschrank“
Normalerweise befindet sich in einem Kühlschrank etwas Eßbares - jedenfalls keine Frauenleiche ohne Kopf. Wenn es aber doch so ist, dann erregt diese leicht Übelkeit. So auch bei der hartgesottenen Spürnase Varg Veum.
Eigentlich hat der norwegische Privatdetektiv ja den Auftrag, in der Ölstadt Stavanger nach einem jungen Mann zu suchen. Statt diesem entdeckt er eine weitere Frauenleiche, wird beinahe überfahren und von einem Killertrupp wie ein Tier durch die Stadt gehetzt. Sein gewöhnlich schiefes Lächeln vergeht ihm dabei allmählich. Nur mit einer großen Portion Schlauheit und Glück gelingt es ihm, den ungemütlichen Zeitgenossen zu entrinnen und die Morde aufzuklären.
Aber Varg Veum ist kein blutleerer Supermann - eher ein Wolf im Schafspelz (Varg ist auch das norwegische Wort für Wolf). Zwar haben ihm seine Menschenkenntnis und Cleverneß schon so manchen Erfolg in seinem Revier Bergen eingebracht, aber nach herkömmlichen Maßstäben ist er alles andere als ein Karrieretyp. Für ihn zählt, daß er auf anständige Weise sein Geld verdient. Aufträge, die mit „ehelichen Problemen“ zu tun haben, übernimmt er nicht. In heiklen Situationen zeigt der Melancholiker Varg Veum, was er wirklich auf dem Kasten hat: Mut und starke Nerven.
Letzteres benötigen auch die LeserInnen. Raffiniert hält sie der Autor mit den sich überstürzenden Ereignissen in Atem. Aber Die Frau im Kühlschrank ist mehr als eine spannend erzählte Kriminalgeschichte. Wie in den Krimis des schwedischen Paares Sjöwall & Wahlöö geht es in dem Thriller um mehr als das: Es geht um die gesellschaftliche Dimension von Kriminalität. Geschickt sind Krimihandlung und authentische Beschreibung des gegenwärtigen Norwegens verknüpft. Durch die Augen des Ich-Erzählers Veum blicken wir hinter die Kulissen des landschaftlich schönen und idyllischen Landes, das sich Mitte der siebziger Jahre zu einer europäichen Ölmacht gemausert hat, und sehen die Kehrseite des neuen Reichtums: die Verwandlung ehemals verschlafener Kleinstädte wie Stavanger in ausgedehnte amerikanisierte Vergnügungsviertel und die Konjunktur der Unterwelt in Klein-Las Vegas.
Gunnar Staalesen hat sich bereits vor Jahren mit den Varg -Veum-Romanen in Norwegen einen Namen als Krimiautor erworben. Zehn Krimis des 1947 in Bergen geborenen Autors sind in norwegischer Sprache erschienen. Leider sind erst zwei ins Deutsche übertragen worden: Die Frau im Kühlschrank und Im Dunkeln sind alle Wölfe grau - beide von Kerstin Hartmann übersetzt. Die Übersetzungen sind nicht aalglatt. Sie folgen dem sogenannten antiillusionistischen Prinzip. Das bedeutet, daß die LeserInnen mit dem Charakter des Originaltextes vertraut gemacht werden sollen. So wird auch bei Personen- und Ortsnamen die originalsprachliche Schreibweise beibehalten. Beide Krimis sind im Butt-Verlag, einem Verlag für Literatur aus Skandinavien, erschienen.
Angelika Burchert
Gunnar Staalesen, Die Frau im Kühlschrank. Aus dem Norwegischen von Kerstin Hartmann, Wolfgang Butt Verlag, Mönkeberg 1989, 172 Seiten, 14,80 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen