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Gegen bodenlose Unkenntnis

In Sachen 'Ruf‘: Der Publizist Erich Kuby antwortet auf Tilman Fichter, Referent für Schulung und Bildung beim Parteivorstand der SPD  ■ D E B A T T E

Es handelt sich nicht um Fragen, sondern um Denunziation. Mein Kommentar zur „Gorbi„-Manie der Westdeutschen, die dazu benützt wird, antikommunistischen Nationalismus anzuheizen, hat Fichter nicht gefallen. Sich damit politisch auseinanderzusetzen - wie könnte ich etwas dagegen haben? Natürlich nichts! Fichter aber scheint die politische Munition ausgegangen zu sein, er griff den Autor an, indem er ihm unterstellte, 1946/47 habe dieser, zunächst Berater der US-Militärregierung in Sachen Lizenzierung von Buchverlagen und Zeitschriften, dann Chefredakteur des 'Ruf

-unabhängige Blätter der jungen Generation‘ (Reprint 1975) die erste Tätigkeit dazu benützt, sich tückisch den 'Ruf‘ unter den Nagel zu reißen. Ich hätte, so wörtlich, den 'Ruf‘ erst „kontrolliert“, dann „zerstört“.

Es handle sich daher „um eine fatale Vorgeschichte aus Trizonesien“, meine Rolle dabei gehöre zur „ungeklärten Nachkriegsgeschichte“. Im Bemühen, Klarheit in die Sache zu bringen, wiederholt Fichter 'Ruf'-Märchen, die offenbar unausrottbar sind: Das Blatt sei verboten worden, es habe eine Unterbrechung in seiner Erscheinungsweise gegeben. Zwei Jahre lang hätte ich mit einem Wahlbayern konservativer Gesinnung, Walter von Cube, und mit einem Herrn Eitel Fritz von Schilling den 'Ruf‘ heruntergewirtschaftet. Dies seien „bekannte Fakten“.

Der 'Ruf‘ ist nie verboten worden, Alfred Andersch und H.W. Richter wurde untersagt, weiter als seine Herausgeber zu fungieren. Wer nichts über das Zusammenspiel des konservativen Verlages namens „Nymphenburger Verlagshandlung“ (für den 'Ruf‘ gegründet) mit den Amerikanern weiß, und natürlich weiß Fichter auch darüber nichts, versteht die ganze Krise nicht. Ich war kein „Kontrolleur“, sondern ein Berater bei der „Information Control Division“ (ICD) und, was den 'Ruf‘ angeht, dessen Hebamme. Ich engagierte mich für dieses Projekt, es war weitaus das lebendigste, für das bei ICD 1946 eine Lizenz beantragt wurde. Als der Verlag die glücklicherweise unlenkbaren, eigensinnigen Herausgeber los war, mußte er über Nacht Ersatz schaffen, immerhin war der 'Ruf‘ seine einzige melkende Kuh. So wurde ich von einem der „Lizenzträger“ angerufen, ob ich als Nothelfer einspringen wollte. Nicht ein Wort war zuvor in dieser Richtung gefallen.

Die letzte von Andersch und Richter erstellte Ausgabe war Nr.16, 1.Jahrgang, 1.April 1947. Die erste von mir verantwortete Ausgabe war Nr.17, 1.Jahrgang, 15.April 1947. Ein „Unterbruch“, wie die Schweizer sagen würden, hat nicht stattgefunden. Auch bei ICD bestand großes Interesse, daß der 'Ruf‘ weiter erschien; sie genehmigte sofort, daß ich von einem Tag auf den anderen meinen Schreibtisch räumte.

(Im Zimmer daneben, schreibt Fichter, habe der Amerikaner Ernest Langendorf gesessen. Er saß in einem anderen Haus in einer anderen Straße, hatte mit der Lizenzierung von Buchverlagen und Zeitschriften überhaupt nichts zu tun. Das nur nebenbei.) Die letzte unter meiner Leitung erschienene Ausgabe ist datiert auf den 1.Dezember 1947. Aus diesen siebeneinhalb Monaten macht Fichter zwei Jahre, Nachfolger wurde Walter von Cube, dessen Berufung durch den Verlag Entsetzen ausgelöst hatte. Zu „meiner“ Zeit stieg die Auflage, das Blatt gewann an Schärfe in seiner Kritik an der Besatzungsmacht, der Schwund begann erst später. Solche Fakten hätte Fichter dem Reprint entnehmen können, ferner (und vor allem) der 'Ruf'-Dissertation von J.Vaillant (1973) sowie den 'Ruf'-Abschnitten in meinem Buch Aus schöner Zeit - Vom Care-Paket zur Nachrüstung. Er scheint indes nichts von dem gelesen zu haben, was ich seit 1946 schrieb, etliche tausend journalistische Arbeiten und etwa 30 Bücher. Seine bodenlose Unkenntnis, die „Vorgeschichte aus Trizonesien“ betreffend, erlaubt ihm, in mir einen politischen Kollaborateur der amerikanischen Besatzungsmacht zu sehen. Vielleicht verschafft er sich jetzt mein jüngst erschienenes Buch Mein ärgerliches Vaterland, und liest dort ab Seite 30 mein Gespräch mit einem US-Senator, geführt 1947 (!). Dort steht unter anderem: Der Senator: „Sie meinen, die Militärregierung sollte ICD auflösen?“ Ich: „Ich meine, die Militärregierung sollte sich auflösen.“ Und später: „Sie mögen uns wirklich nicht, sagte der Senator.“ Ich: „Diesmal haben Sie recht, die Welt, die solchen (US -)Prinzipien gerecht wird, ist ein Narrenhaus.“ Und: „Ihre Regierung wird uns keinen Reifen hinhalten können, durch den wir nicht springen werden.“ In der Tat, proamerikanischer kann man gar nicht sein. Daß ich über Jahre gegen den amerikahörigen Adenauer anschrieb - Fichter ficht es nicht an.

Aber er zitiert genüßlich, in einer Veranstaltung, an der ich teilgenommen hätte, habe der alte H.W. Richter gesagt: „Kuby lügt immer.“ Kein Zweifel, das scheint Richter gesagt zu haben, aber ich war nicht dabei, habe erst nach Tagen davon aus der 'Süddeutschen Zeitung‘ erfahren und diese zu einer Entgegnung veranlaßt. Das hätte sich nachlesen lassen. Ein Fernsehinterview mit mir über den 'Ruf‘, aus dem Fichter mich zitiert, hat es nie gegeben. Auch wäre es vielleicht nicht von Übel, wenn ein bestalltes SPD-Mitglied wie Fichter zwischen „neutralistisch“ und „unpolitisch“ zu unterscheiden wüßte. Ich hätte die Gruppe47 bis zum heutigen Tag als „neutralistisch“ bezeichnet. Nein sowas! Dann wäre sie ja hochpolitisch gewesen, engagiert in der „deutschen Frage“. Sie war jedoch unpolitisch und keineswegs „links“. Ach ja, ich „witterte Deutschtümelei“, ja sogar „Verrat am Westen“. Landauf, landab wird von „Wiedervereinigung“ gefaselt. Nur Egon Bahr sagt: Vorsicht!, die SPD schweigt sich zu diesem tendenziösen Unfug aus. Das ist keine „Deutschtümelei“? Was ich wittere, ist ein Prozeß der „Normalisierung“ unseres Volkes, nachdem es sich selbst jahrzehntelang ins „Wirtschaftswunder“ entlaufen war. Deutsche „Normalisie

rung“ ist das Schlimmste, was uns, was Europa, was der Welt geschehen könnte. So dachte ich auch vor 40 Jahren. Andersch und Richter dachten nicht so. Sie propagierten sozialistische Ideale, unübersetzbar in politisches Handeln, in operative Innenpolitik. Zugleich waren sie als Nationalisten ganz „normale“ Deutsche, indem sie beispielsweise den deutschen Soldaten tugendhaften Heldenmut bestätigten. Sie hätten „die Rebellion im Herzen getragen“ (H.W. Richter, 'Ruf‘ Nr.9, S.8). Deshalb sprengten sie noch Brücken über die Weser? Solche Weißwäscherei mißfiel mir damals wie heute - zutiefst. Sie mißfiel auch manchen Amerikanern. Dies erspürend, schrieb ich, noch bei ICD tätig, einen warnenden Artikel über Nationalismus und Kritik, gedruckt in der 'Süddeutschen Zeitung‘. Er nützte nichts - leider!

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