: Startbahn-Prozeß: Richter präparierte Zeugen
Das Verfahren muß unterbrochen werden / Beisitzender Richter Kern soll Zeugen vor seiner Vernehmung Details aus anderen Zeugenaussagen telefonisch mitgeteilt haben / Verteidigung stellt Befangenheitsantrag / Auch anderen Polizeizeugen vorgesagt? ■ Von Michael Blum
Frankfurt (taz) - Im Startbahn-Prozeß vor der Staatsschutzkammer am Oberlandesgericht Frankfurt wurde gestern bekannt, daß der Beisitzende Richter Kern Vorwürfe aus Zeugenaussagen, die vor dem Gericht gemacht wurden, an mindestens einen Polizeizeugen vor dessen Vernehmung detailliert weitergegeben hat. Aufgrund der Vorwürfe hat der 5.Strafsenat jetzt die Hauptverhandlung bis zum 23.Oktober unterbrochen und damit einem Antrag der Verteidigung entsprochen. Über einen von den RechtsanwältInnen gestern ebenfalls gestellten Befangenheitsantrag gegen Kern muß in den kommenden Tagen eine andere Kammer des Oberlandesgerichts entscheiden.
Der Verteidiger des angeklagten Frank Hoffmann, Jürgen Borowsky, hatte den als Zeugen geladenen 24jährigen Staatsschutzbeamten aus dem Hessischen Landeskriminalamt (HLKA), Dirk Stippig, kurz vor Ende seiner Zeugenvernehmung eiskalt erwischt: Nach dem der Zeuge zunächst mit Erinnerungslücken glänzte, mußte er zugeben, daß ihm der Beisitzende Richter telefonisch nicht nur das Beweisthema, sondern auch „Details und Vorwürfe aus der Zeugenaussage eines Startbahngegners mitgeteilt“ habe. Kern habe detailgetreu die Vorwürfe des Startbahngegners Baldur O. aufgezählt.
Baldur O. hatte seine Aussage aber zurückgezogen, nach der Frank Hoffmann der Schütze an der Startbahn am 2.November 1987 gewesen sei. Im Verfahren hatte Baldur O. erklärt, daß er zu seinen Aussagen von den Vernehmungsbeamten - unter ihnen Zeuge Stippig - und Bundesanwalt Klaus Pflieger mit Drohungen und Versprechungen erpreßt worden sei. Bereits in den vergangenen Verhandlungstagen mußten die Beamten, die das Verhör am 2. und 3.Dezember 1987 in Wiesbaden leiteten, scheibchenweise ungesetzliche Vernehmungsmethoden eingestehen.
„Durch Kerns Mitteilungen konnte sich der Zeuge präzise auf seine Vernehmung vorbereiten, die Anschuldigungen des Startbahngegners entkräften und zuvor gemachte Polizeiangaben, nach denen die Vernehmung angeblich normal verlief, unterstützen“, erklärte Rechtsanwalt Borowsky. Richter Kern habe damit nicht nur gegen die Strafprozeßordnung verstoßen, sondern auch die Verteidigung über das eigentliche Beweisthema, zu dem Stippig geladen wurde, getäuscht. Es sei ferner zu befürchten, daß dieser „unglaubliche Vorgang“ (Rechtsanwalt Stephan Baier) kein Einzelfall sei: Es müsse umgehend geprüft werden, ob und inwieweit Kern auch die beiden anderen Vernehmungsbeamten aus der Staatsschutzabteilung des HLKA, Hess und Havanek, präpariert habe.
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