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Gegen die fortschreitende Sozialdemokratisierung

ROTGRÜN tut gut / Wie man Krisen herbeiredet, um im Geschäft zu bleiben / Ein Streitbeitrag zum Zustand der AL von den ÖkosozialistInnen  ■ D E B A T T E

Auf einmal reden sie alle von Koalitionskrise. Dafür verantwortlich sollen unter anderem die basisdemokratische Struktur der Alternativen Liste und die Uneinsichtigkeit der Basis in das schwierige Regierungsgeschäft sein. So sieht es auch B. Köppl in seinem Beitrag „Ein Papiertiger...“ (siehe taz v. 10.10).

Wir ÖkosozialistInnen haben schon im März vorausgesehen, daß kein gesellschaftlicher Aufbruch zu neuen sozialen und ökologischen Ufern zwischen AL und SPD ausgehandelt wurde. Wir haben deshalb der Koalitionsvereinbarung nicht zugestimmt. Nun haben dies auch die ehemaligen Koalitionsbefürworter bemerkt. Da sie aber die Koalition noch immer wie einen Fetisch behandeln, ist nicht die mangelhafte Umsetzung der Koalitionsvereinbarung an der Krise schuld, sondern die Basis, die auf die Einhaltung der Verträge besteht. Heute haben wir die Situation, daß die AL alles was die SPD macht, tolerieren muß, aber die Verantwortung mitträgt.

Die Sozialdemokratisierung der AL ist so weit fortgeschritten, daß das Krisengeschrei zur Zähmung der eigenen Basis und damit der eigenen Inhalte benutzt wird, ohne zu sehen, daß dahinter die Strategielosigkeit der AL und der SPD in Bezug auf die brennenden gesellschaftlichen Fragen steht. Mann und Frau wollen um jeden Preis in der Koalition bleiben. Wir sind wer und verhandeln mit den entscheidenden Leuten dieser Stadt - nur, warum kommt dabei so wenig heraus?Ist die AL regierungsunfähig?

Mit der Regierungsverantwortung ist es der SPD gelungen, die AL in einen Erziehungsprozeß zu verwickeln. Lehrmeisterlich verkündet die Schöneberger Rathaussozialdemokratie nach den jeweiligen Entscheidungen, die die AL trifft, ob diese nun „regierungsunfähig“ sind oder unverantwortlich. Am Beispiel der Stromtrasse wird dies deutlich. Die AL lehnt auf ihrer MVV jegliche Stromtrassenvariante ab. Beruft sich dabei auf die gesetzlich vorgeschriebenen Prüfungen und die Koalitionsvereinbarungen. Hält sich dabei an eigene Beschlüsse und will nichts anderes, als was die SPD selbst beschlossen und in ihrem Programm stehen hat. Sofort tönt es aus dem Rathaus, die AL sei nicht „regierungsfähig“ und nur zur Opposition bereit. Welch eigentümliche Verdrehung der Tatsachen. Programmatische Wahlversprechen in Regierungshandeln umzusetzen soweit als möglich - das macht Regierungsfähigkeit nach unseren Vorstellungen aus. Am Beispiel Stromtrasse zeigt sich: die SPD ist regierungsunwillig und Teile der AL versuchen sie dabei noch zu übertreffen! Die vorhandenen Handlungsspielräume zur Verhinderung der Atomstromtrasse werden nicht genutzt. Anstatt über das Ob mit der SPD hart zu verhandeln, soll um aus der politischen Lähmung zu kommen - über das Wie der Energiepolitik geredet werden. Dabei tritt die politische Lähmung in der Energiepolitik dann ein, wenn Millionen von Kilowatt überschüssigen Stroms in die Stadt fließen. Die Bewag wird dann frech behaupten, daß sie mit Genehmigung dieser Regierung dem Strom den Vorzug vor ökologischen Energieträgern geben mußte. Wie sich die SPD dann entscheidet, wissen wir schon. Die AL, um ebenfalls „regierungswillig “ zu sein, wird nachziehen.

Ausblick

So wie ein möglicher Bau der Stromtrasse das Ende der alternativen Energiepolitik bedeutet, so wird es auch mit der Sozialpolitik, der Arbeitsmarktpolitik, der Wohnungspolitik, dem Flughafenausbau u.v.m. weiter gehen. Strategisch sitzt die AL in der Sackgasse und da helfen auch keine Floskeln „von den großen und kleinen Schritten in die richtige Richtung“ (Köppl). Die Wohnungsnot ist damit nicht zu beheben, und der Fluglärm wird davon nicht weniger. Die Frage für die AL ist: ob sie mit der relativen Wirkungslosigkeit unter der SPD so weiter wurschteln will, bis auch die letzte AL-Sympathisantin feststellt, daß sie betrogen worden ist?

Die AL sollte nicht warten, bis dem Papiertiger der letzte Zahn ausgefallen ist. Sie muß jetzt mit der Diskussion folgender Fragen beginnen: Wie ist das Ergebnis der ersten sechs Monate Rot-Grün aus Sicht der AL zu bewerten ? Warum führten die in der Koalitionsvereinbarung festgesetzten Prüfaufträge durchweg zu Niederlagen? Unter welchen Bedingungen ist die AL bereit, die Koalition fortzuführen. Das schließt sowohl die Frage der inneren Struktur der AL als auch Wirkungen auf die WählerInnen ein. Ist die AL bereit an einem Koalitionsausstiegskonzept zu arbeiten, oder will sie warten bis die SPD im Vorfeld der Landtagswahlen in NRW aus taktischen Erwägungen „Ende der Fahnenstange“ sagt?

Diese Fragen sollten geklärt werden, bevor die AL durch weitere Niederlagen an Substanz verliert und nach der Regierungszeit sowohl ihre Identität als auch einen Teil ihrer Wählerschaft verloren hat. Die Verluste der Grünen, die in einem rot-grünen Bündnis waren, bei den Kommunalwahlen in NRW sollten uns warnen.

Um uns herum ist Bewegung in der politischen Landschaft, nur wir starren wie das Kaninchen auf die Regierungssessel und erhoffen uns davon die Lösung der Probleme, wohl wissend, daß sie von dort in den seltensten Fällen gekommen ist.

Schluß

Wer die Stromtrase bauen will, hat das Feld schon der Bewag und dem Wirtschaftsflügel der SPD überlassen. Der traut dem roten Pantherdompteur mehr als den grünen Expertengenossen, und vielleicht täte ihm die kuschelige und identitätsstiftende Oppositionsbank besser, damit er das Springen wieder lernt.

Für die ÖkosozialistInnen: Helmut Brinkmann/Eberhard Mutscheller.

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