: „...ob man so tolle Freunde noch mal findet?“
■ Die 13jährige Übersiedlerin Johanna ist seit zwei Wochen in West-Berlin / In einem Gespräch mit der taz berichtet sie von ersten Eindrücken und dem Gefühl, hier zu sein: „Jetzt wird mir erst klar, wie schau das zu Hause alles war“
Johanna ist 13 Jahre alt und ging bis Ende September in einem nördlichen Bezirk in Ost-Berlin in die achte Klasse. Dann machte sie mit ihrer Mutter (42) und ihrer Schwester (16) die Biege und kam mit einem Flüchtlingsbus von Budapest via Nürnberg nach West-Berlin.
Die Famile kam zunächst in einem Möbellager in Spandau unter und lebt jetzt übergangsweise zu dritt in einem Zimmer in einem ehemals besetzen Haus.
taz: Johanna, was ist das für ein Gefühl jetzt in West -Berlin zu sein?
Johanna: Es ist ganz komisch, weil man nur ein paar Kilometer von Zuhause weg ist und doch nicht hin kann. Außerdem ist es ganz blöd, daß man hier nicht so viele Leute kennt und kein richtiges Zuhause hat.
War es deine eigene Entscheidung abzuhauen?
Wenn es meine eigene Entscheidung gewesen wäre, wäre ich wahrscheinlich dageblieben. Meine Mutter hatte schon seit ein paar Jahren mit dem Gedanken gespielt, und seit Anfang September war es dann mehr oder weniger klar, daß wir es versuchen werden. Wenn wir es unbedingt gewollt hätten, hätten meine Schwester und ich auch dableiben können, aber das wollten wir nicht so richtig.
Du guckst gerade ganz traurig.
Zu Hause war alles so schau mit meinen Freunden (weint). Ich weiß nicht, ob man solche tollen Freunde noch einmal findet.
Hältst du zu ihnen Kontakt?
Ich rufe oft an, ein Glück, daß es noch ein Telefon gibt. Dann quatschen wir lange darüber, was es drüben Neues gibt, und wie es hier so ist. Wir waren wie ein große Familie zusammen, da hatte jeder jeden richtig gerne. Wenn jemand ein Problem hatte, haben sich alle damit beschäftigt. Jetzt wird mir erst klar, wie schau das alles war, und ich frage mich, ob es noch mal so wird.
Hast du hier noch schon Gleichaltrige kennengelernt oder mit jemandem aus dem Lager Freundschaft geschlossen?
Nein. In dem Lager gab es nur ganz wenige in meinem Alter, weil die alle drüben bleiben wollen.
Ihr seid jetzt in einem ehemals besetzen Haus untergekommen und wohnt dort zu dritt in einem Zimmer. Könnt ihr dort nicht bleiben?
Nein. Wir können da doch nicht einfach bleiben, außerdem können wir ja nicht auf Dauer in einem Zimmer wohnen. Als Übergangslösung ist es auf alle Fälle besser, als in dem Möbellager in Spandau zu bleiben. Ich glaube, wenn wir in dem Heim geblieben wären, wäre ich wahrscheinlich schon wieder zurückgegangen. Jetzt haben wir ein Zimmer in Mariendorf angeboten bekommen, acht Quadratmeter mit einem doppelstöckigen und einem einfachen Bett, das haben wir nicht genommen. Drei Weiber in so 'nem kleenen Zimmer, da würde es total viel Streit geben. Da, wo wir jetzt wohnen, kann man sich wenigstens mal in die Küche oder den Fernsehraum verziehen.
Ihr sucht jetzt eine Zwei- bis DreiZimmerwohnung. Wie geht ihr das an?
Im Moment ist es ein bißchen schwierig, weil meine Mutter krank ist. Wir gucken immer die Zeitungen durch, aber nach Wohnungen stehen ja viele Leute Schlange, außerdem sind sie auch sehr teuer. Zu Hause hatten wir eine Fünfzimmerwohnung, die hat 113Mark gekostet, aber das kann man ja nicht vergleichen.
Was ist für dich der größte Unterschied zur DDR?
Hier sieht alles ganz anders aus, viel bunter, durch den ganzen Konsum und so. Aber das beeindruckt mich eigentlich nicht so, weil ich das schon mal gesehen habe, als ich früher einmal mit meinen Vater im westlichen Ausland war. Ich finde es gibt wichtigere Dinge im Leben. Außerdem finde ich es ein bißchen extrem, daß es alles doppelt und dreifach gibt.
Hat dir in der DDR denn gar nichts gestunken?
Mir gings im täglichen Leben eigentlich nicht schlecht. Ich konnte im Gegensatz zu anderen mehr reisen. Manche können nur alle paar Jahre mal in die CSSR fahren. Wir sind jedes Jahr mindestens einmal ins Ausland gefahren, nach Bulgarien, Ungarn, Polen, CSSR oder in die SU. Manches hat mich natürlich auch angekotzt. Zum Beispiel, daß bei kleinen Dingen überhaupt nüscht klappt. Da wollte ich mir zum Beispiel mal ein Paßfoto machen lassen, das am nächsten Tag fertig sein mußte. Da bin ich zu sechs Fotografen gerannt, und keiner konnte mir das machen. Bei solchen Sachen wird man total sauer.
Was hast du denn sonst den ganzen Tag gemacht, seit du hier bist?
Na, das ganze Behördenzeug, auf den Ämtern anstehen und so. In der Stadt waren wir natürlich auch schon und auf dem Rummel. Abends spiele ich Tischtennis, oder ich gucke bißchen fern. Zweimal habe ich auch schon auf dem Bau Schubkarre geschoben und mir damit ein Taschengeld verdient.
Warum gehst du hier noch nicht zur Schule?
Weil wir noch nicht wissen, in welchem Bezirk wir für längere Zeit wohnen werden. Außerdem müssen wir uns erstmal richtig erkundigen, wo Plätze frei sind. Ich möchte nämlich lieber aufs Gymnasium, weil es auf der Gesamtschule keine richtigen Klassen gibt, und alles so unüberschaubar ist.
Interessiert dich was jetzt in der DDR passiert?
Na klar. Viele meiner Freunde waren am 8.Oktober abends auch an der Kirche und auf der Straße und wurden auch total verprügelt. Viele wurden festgenommen und einige seelisch total fertig gemacht. Ich würde mich auch gern für Veränderungen einsetzen, aber das geht ja jetzt nicht mehr von hier aus.
Was denkst du, was mit der Bundesrepublik und der DDR passieren wird?
Ich glaube, daß es keine Wiedervereinigung geben wird, weil die beiden Staaten total gegensätzlich sind. Die Regierung der DDR würde wahrscheinlich nicht zugegeben, daß die letzten 40 Jahre zum größten Teil sinnlos waren und daß sie nun doch kapitalistische Sachen übernehmen. Und daß die BRD sozialistisch wird, ist doch wohl auch ausgeschlossen. Es bleibt auf jeden Fall nichts anderes übrig, als das in der DDR mal richtig was passiert.
Was hältst du von Gorbatschow?
Den finde ich gut. Ich hab den Eindruck, daß der es ernst meint mit den Reformen und nicht solche Lügen verbreitet, wie sie es bei uns machen, indem sie die schärfsten Überschriften in die Zeitung schreiben. Das fand ich auch total traurig: Als ich in Ost-Berlin war, war Gorbatschow hier, und jetzt bin ich hier, und er ist in Ost-Berlin, und ich habe ihn wieder nicht gesehen.
Interview: Plutonia Plarre
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