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DRECKIGE OSTSEE

■ Segeltörn gegen Umweltverschmutzung, für Ost-West-Zusammenarbeit

Die zwölf Segelyachten liegen vertäut im Stockholmer Hafen. Nichts regt sich, als ich ankomme. Aufs Geratewohl steige ich auf ein Boot und den steilen Niedergang hinab. Am Heck des Bootes steht „Aurora“, Heimathafen Leningrad, und darüber flattert die sowjetische Flagge. Vom zaristischen Schlachtschiff Aurora wurde von der meuternden Besatzung einst das Signal zur Revolution gegeben. Jetzt nimmt diese Aurora an einer friedlichen Umwälzung teil: Zusammen mit den anderen Booten aus der Sowjetunion und Polen beteiligt sich das Segelschiff an einer Regatta, die zu allen Ostseeanrainerstaaten führt. Auf die Meeresverschmutzung soll hingewiesen und für gemeinsame Gegenmaßnahmen geworben werden.

Maxim ist Schiffbaustudent aus Leningrad und der erste der elfköpfigen Besatzung, den ich kennenlerne. Es braucht Zeit, ihm klarzumachen, daß ich die Etappe bis Gdansk mitsegeln will. Er kann nur einige Brocken Englisch, ich kein Wort Russisch. So verständigen wir uns hauptsächlich mit Gesten. Das Sprachproblem, beginne ich zu ahnen, wird uns die nächsten acht Tage begleiten. „Clean baltic sea“

Die Boote und ihre Besatzungen erregen öffentliches Aufsehen, freilich anders als geplant. „Gefährden Umweltaktivisten die Staatssicherheit?“ fragt der Kommentator einer Stockholmer Tageszeitung. Streitpunkt sind die sowjetischen Boote, die die Behörden nicht nach Schweden lassen wollten, nachdem den Skandinaviern wenige Tage zuvor wie schon so oft ein unbekanntes, mutmaßlich sowjetisches U -Boot entkam. Nach Auseinandersetzungen im schwedischen Kabinett darf die „Flottille“ dann doch durch die Schären nach Stockholm einfahren. Regelmäßig aber fährt ein Polizeiboot Streife, um die verdächtigen Schiffe zu observieren, die mit Transparenten auf ihr Anliegen verweisen: „Clean baltic sea“.

Im Sommer hatte die Regatta in Leningrad mit einem Symposium über ökologische Ost-West-Zusammenarbeit sowie mit Kulturveranstaltungen begonnen. In der Sowjetunion wird das von der „European Society for Ecology and Culture“ (ESEC) organisierte Projekt nicht nur von offiziellen Stellen, sondern auch von unabhängigen Gruppen getragen. Gleiches gilt für Polen, wo die Stadt Gdansk und der unabhängige Polnische Ökologische Klub den Kongreß Zur Belastung der Ostsee durch die Weichsel unterstützen. Politische Veranstaltungen wie auch Kulturaufführungen werden in der Bundesrepublik mit Unterstützung der jeweiligen Landesregierungen in Hamburg und Kiel durchgeführt. Nur die DDR hat sich einer Teilnahme verweigert.

Die Abfahrt von Stockholm verzögert sich. Der Motor der Aurora ist kaputt. Ein einfacher Lagerschaden, wie die Mannschaft glaubt. Erst beim Auseinandernehmen wird die gebrochene Kurbelwelle entdeckt. Glücklicherweise ist es ein schwedischer Volvo-Motor; doch Schweden ist teuer, und bei den Sowjets sind die Devisen knapp. Es muß erst gesammelt werden, und schwedische Unterstützer helfen ebenfalls. Konsumparadies und Frust

Die meisten der sowjetischen Segler sind das erste Mal im westlichen Ausland. Die anfängliche Begeisterung über das Konsumparadies weicht angesichts fehlender Devisen bald einem Frust über das teure Stockholm, in dem sie sich nichts leisten können. Die meisten haben sich allerdings mit Tauschware eingedeckt: Schnaps und Wein vor allem, aber auch eine Geige werden hervorgeholt. Mit dem eingetauschten Geld werden zumeist Elektrogeräte - zum eigenen Gebrauch oder zum Weiterverkauf nach der Rückkehr - gekauft.

Mit mehrtägiger Verspätung geht es los. Zum Reparieren des Motors bleibt keine Zeit; die Polizei verfügt die Abfahrt, sobald die Ersatzteile an Bord sind, und geleitet uns bis zur Hoheitsgrenze. Jedes Manöver, selbst im engen Fahrwasser, muß die 18 Meter lange Aurora unter Segeln bewältigen. Harte Arbeit für die Besatzung.

Assaf ist Kapitän der Yacht. Nicht nur auf dem Papier. An Bord ist eine zumeist unauffällige, aber strikte Befehlsgewalt spürbar. Als der knapp fünfzigjährige Assaf, im Hauptberuf Dozent am Leningrader Schiffbauinstitut, den Matrosen einen Besuch im Stockholmer Vergnügungspark untersagt, wagt keiner zu widersprechen. Dem Schiffbauinstitut gehört auch das Segelboot. Fast alle Mannschaftsmitglieder studieren oder arbeiten dort als Ingenieure. Als Gast segelt außer mir auch die Münchnerin Margarita vom „Global Challenges Network“ (GCN) mit. Diese Organisation koordiniert das internationale Projekt „Saubere Ostsee“.

Assaf kann einige Brocken Deutsch, überwiegend technische Ausdrücke. Andere beherrschen ein paar Worte Englisch, ein Teil der Mannschaft versteht nur Russisch. Der Ingenieur Kostja gehört dazu. Er macht aber alles durch Intuition und Gestenreichtum wett und wird zum bevorzugten Gesprächspartner. Vadims Französisch wird zur wichtigsten Relaisstation für „exakte“ Informationen. Als die schwedische Polizei zum Abschied noch einmal an Bord kommt, übersetzt Margarita das englisch geführte Gespräch ins Französische, damit Vadim es ins Russische übertragen kann. Danach geht es wieder retour. In kurzer Zeit legen wir uns ein Kauderwelsch aus den verschiedenen Sprachen zu. Zum Segeln reichen die wenigen Vokabeln, um die Befehle auszuführen und Handlungen aufeinander abzustimmen. Nur politische Diskussionen führen wir kaum - das ist zu kompliziert, um es mit unseren unzulänglichen Wortwerkzeugen zu bewältigen.

Die Zwischenstation Gotland fällt wegen der Verspätung aus; wir segeln direkt nach Gdansk. Die in der Luftlinie fast 700 Kilometer lange Strecke wird in einem Stück bewältigt. Die Mannschaft stellt sich mit Schichten rund um die Uhr darauf ein. Den Sichtkontakt mit den anderen Booten haben wir bald verloren; jeder segelt für sich allein. Das Wetter ist schlechter geworden. Es geht ein starker Wind, und besonders in der Nacht ist es empfindlich kalt. Ständig tragen wir dicke Pullover, einen gefütterten halblangen Mantel und darüber das Ölzeug. Die tägliche Hygiene wird nahezu eingestellt. Wenn man aus der Koje klettert, reicht ein wenig Wasser für das Gesicht. Die komplette Mannschaft ist kaum einmal zusammen, immer schlafen gerade einige. Am ehesten sieht man sich noch bei den Mahlzeiten, für die kurzzeitig die Ölhaut und der Mantel abgeworfen werden.

Die Wellen sind langgezogen und riesig. Wenn sie von hinten anrollen, einen Moment höher als die Aufbauten des Bootes zu sein scheinen, dann die Aurora anheben und in das nächste Wellental stürzen, muß der Rudergänger kräftig gegenhalten, um nicht vom Kurs abzukommen. Festhalten ist immer angesagt, besonders beim Arbeiten auf dem Vordeck, das unkontrolliert auf- und niederspringt. Der Sicherheitsstandard westlicher Yachten fehlt: Auch in stürmischer Nacht ist keiner der Decksleute mit einer Leine gesichert. Von der Rettungsinsel gibt es nur die Halterung, Schwimmwesten fehlen, und zwei brüchige Rettungsringe sind eher als Dekoration geeignet. Munition und Giftgas

Manchmal begegnen wir Fischerbooten, die mit Schleppnetzen arbeiten. Auch an Stellen wird gefischt, die in den Seekarten vornehm als „unrein“ gekennzeichnet sind. Dahinter verstecken sich Lagerstätten von Munition und Giftgaskanistern, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs einfach ins Meer geworfen wurden. Auch nach fünfundvierzig Jahren sind sie eine große Gefahr, wenn sie den Fischern in die Netze geraten. Die Fangerträge gehen seit Jahren zurück. Industrielle Einleitungen, Kupfer und Schwermetalle aus Schweden und Finnland, Phosphor und Stickstoffe aus Düngemitteln aller Anrainerstaaten drohen den Meeresboden zur maritimen Wüste werden zu lassen und den Fischen durch Algenwachstum und Gift den Garaus zu machen. Aus den Schornsteinen von Industriewerken fern vom Meer werden Cadmium, Blei und andere Schadstoffe herangetragen.

Sobald Land in Sicht ist, hebt sich die Stimmung an Bord. Ganz allein zu sein, mag großartig sein, tief drinnen aber bleibt wohl immer ein wenig Angst vor der See zurück. Die Danziger Bucht ist nicht einladend. Seit einigen Jahren besteht an den Stränden Badeverbot, und auch weit draußen auf See ist der Dreck zu sehen. Die hier ins Meer fließende Weichsel ist eine der Hauptbelastungsquellen für die Ostsee. Der Fluß bringt die ungeklärten Abfälle von zehn Millionen Menschen und die Schadstoffe der polnischen Industriereviere ins baltische Meer. Die Luft stinkt nach Kohle, und in der Stadt sind die Fassaden grau - ein scharfer Kontrast zum heiteren, sauberen (aber auch reicheren) Stockholm.

In Gdansk ist endlich Zeit, den Motor zu reparieren. Die gesamte Maschine muß auseinandergenommen werden. Kapitän Assaf hat ein Werkstatt-Handbuch aufgetrieben - allerdings in Deutsch. So sitzen wir bis zu meinem Abschied über einem schwedischen Motor und Schrauben herum. Ich übersetze die Reparaturanweisungen mit rohen Wortbrocken, vielen Gesten und einigen Skizzen. Denn für die Zielankunft in Kiel soll der Motor wieder laufen.

Gerd Nowakowski

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