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Friedliche Fusion im Kriegsgeschäft

■ Wer kriegt Ferranti? Britische Waffenschmiede Opfer von betrügerischer Tochter aus den USA aber auch des friedlicheren Zeitgeistes

Teil 33: Ralf Sotscheck

„Die europäische Verteidigungsindustrie strukturiert sich um“, sagte ein leitender Angestellter des französischen Waffenfabrikanten Thomson. Und der will selbst kräftig mitstrukturieren. Die Franzosen haben in dieser Woche in einer gemeinsamen Erklärung mit „British Aerospace“ ihr Interesse an einer Übernahme des britischen Rüstungskonzerns Ferranti bekundet. Die beiden Unternehmen besitzen heute bereits 2,5 Millionen (0,3 Prozent) Ferranti-Aktien. Wenn auch die anstehenden Umstrukturierungen Ausdruck von grundsätzlichen Verwerfungen in der Branche sind - Anstoß zu diesen Übernahmebemühungen hat dabei letzten Endes das gegeben, was das internationale Kriegsgeschäft auszeichnet wie keine andere Branche: das Klandestine. Da kann sich schon mal ganz heimlich, still und leise Kriminelles zusammenbrauen, was zuvor florierende Unternehmen an den Rand des Abgrundes treiben kann. Auch die im Geschäft mitmischenden Banken sind davor nicht gefeit.

Anders als manch spektakulärer Fusionsfall, bei dem es um „feindliche Übernahmen“, „Verteidigungsschlachten“ und „weiße Ritter“ geht, läßt sich die Sache mit Ferranti erst mal friedlich an. Die Firma bemüht sich seit einem Monat um Angebote aus aller Welt, nachdem sie durch einen Buchführungsbetrug ihrer US-Tochtergesellschaft „International Signal and Control (ISC)“ in finanzielle Turbulenzen geraten war. Der Schaden beläuft sich auf 185 Millionen Pfund (555 Mio. Mark) - immerhin fast die Hälfte des Nettowerts von Ferranti.

Das Traditionsunternehmen mit über 100jähriger Geschichte hatte die US-Firma im Jahr 1987 übernommen, nachdem beide Firmen schon sechs Jahre lang bei verschiedenen Projekten zusammengearbeitet hatten. Offenbar war Ferranti dermaßen scharf auf das Geschäft, um seine stagnierende Profitrate aufzubessern und sich dadurch vor einer Übernahme zu schützen, daß sämtliche Warnzeichen ignoriert wurden.

ISC war 1971 von James Guerin, einem bibelfesten Reagan -Anhänger und ehemaligen US-Marineoffizier, gegründet worden. Das Unternehmen erwarb sich bald den Ruf, geheimtuerischer als der Geheimdienst zu sein. Seine Aktien wurden seit 1983 nicht in den USA, sondern an der Londoner Börse notiert, weil Guerin bestimmte Informationen, insbesondere über seine Kundschaft, nicht preisgeben wollte. Diese Kunden waren hauptsächlich Gemeinwesen, mit denen die US-Behörden keinen Waffenhandel dulden: Südafrika und verschiedene arabische Staaten. Immerhin ließ sich das US -Verteidigungsministerium dadurch nicht davon abhalten, Geschäfte mit ISC abzuschließen, der Verwaltungsrat der Firma in den USA ist mit ehemaligen Militärs und CIA -Angehörigen gespickt. Im vergangenen Monat nun stellte sich heraus, daß Guerin auch ein Meister der „kreativen Buchführung“ war: Er buchte regelmäßig größere Beträge vom Geschäftskonto ab und tarnte sie als Zahlungen an Subunternehmen bei lukrativen Auslandsgeschäften vor allem im kriesengeschüttelten Orient. Die angeblichen Geschäftsverträge erhöhten zunächst den Wert von ISC beträchtlich. Unabhängige Buchprüfer stellten im September dann jedoch Erstaunliches fest. Jene aussichtsreichen Verträge mit Pakistan, China und Nigeria existierten überhaupt nicht. Ferranti hatte den ISC-Aktionären also einen weit überhöhten Preis gezahlt. Doch die Freude der Aktionäre ist nicht ungetrübt: Sie wurden mit Ferranti -Aktien bezahlt, die nach Bekanntwerden des Betrugs ihrerseits in den Keller gesunken sind. Guerin und sein engster Mitarbeiter Clyde Ivy sind im Mai nicht nur aus dem Ferranti-Aufsichtsrat zurückgetreten und haben ihre Aktienanteile verkauft, sondern vollzogen gleich auch den logischen Schritt: Sie sind seither spurlos verschwunden. Guerin ließ lediglich über seinen Rechtsanwalt erklären, daß die Betrugsbeschuldigungen aus der Luft gegriffen seien.

Die Übernahme Ferrantis durch Thomson und British Aerospace ist längst noch nicht spruchreif. Zunächst wollen beide Konzerne eine genaue Buchprüfung vornehmen. Eine Beteiligung Thomsons bei Ferranti wäre die bisher größte französische Investition in der britischen Rüstungsindustrie. Auch Siemens wird als möglicher Käufer gehandelt. Der britische 'Independent‘ bezeichnete es bereits als „bemerkenswert“, falls ein „deutscher Konzern eine britische Rüstungsfirma zum 50. Jahrestag des Weltkriegsbeginns“ übernehmen sollte „wie einheitlich auch immer der europäische Markt jetzt sein soll“. Einen Präzedenzfall gibt es jedoch schon: Im vergangenen Sommer genehmigte die britische Regierung die Übernahme der Rüstungsfirma Plessey durch Siemens und die britische General Electric Company.

Der Minister für Industrie und Handel im Labour -Schattenkabinett Brian Gould forderte die britische Regierung auf, Staatsgelder zu investieren, damit Ferranti nicht in ausländische Hände falle. Diese Meinung ist jedoch auch in der Labour Party nicht unumstritten. Der Abgeordnete Bruce George sagte: „Die Vorstellung, daß britische Unternehmen unter Ausschluß unserer Verbündeten britische Flugzeuge und britische Panzer bauen, ist ein Relikt aus der Geschichte.“ In Anbetracht der Privatisierungspolitik Thatchers ist an eine Verstaatlichung Ferrantis ohnehin nicht zu denken, weil das der Wettbewerbsideologie der britischen Premierministerin widersprechen würde. In der hochtechnologischen Industrie gibt es in Großbritannien ohnehin keine große Konkurrenz. Die kann nur von außerhalb kommen. Die Rüstungskonzerne neigen jedoch immer mehr dazu, bei bestimmten Projekten mit ausländischen Partnern zu kooperieren, anstatt zu konkurrieren, um gegen die Rüstungsgiganten aus den USA bestehen zu können.

Im September traf der britische Verteidigungsminister Tom King zu Gesprächen mit seinem bundesdeutschen Amtskollegen zusammen. Dabei ging es um einen Deal für das Radarsystem der neuen europäischen Kampfflugzeuge. Dieser Vertrag im Wert von 2,4 Milliarden Mark ist lebenswichtig für Ferranti. Das Unternehmen steht einem von zwei Konsortien vor, die sich um diesen Vertrag bewerben. Das andere wird von AEG geleitet.

Die Einführung des Binnenmarktes 1992 hat bei den europäischen Rüstungskonzernen hektische Aktivitäten ausgelöst. Während das Geschäft zu Anfang der achtziger Jahre noch blühte, hat sich das Klima inzwischen verändert. Noch nach den beiden Ölpreisschocks in den siebziger Jahren leiteten die Industrienationen die Ölgelder durch Waffenverkäufe wieder zurück. Länder wie Iran und Saudi -Arabien waren dabei, stark aufzurüsten. Westliche Politiker, auch aufstrebende Staatsmänner aus der BRD, betätigten sich bei Staatsbesuchen zunehmend als Waffenhändler. Auch der Malwinenkrieg erwies sich für die Rüstungskonzerne ebenfalls als lukrativ.

Doch die ständigen Erhöhungen des Verteidigungshaushalts bei gleichzeitigen Kürzungen in anderen Bereichen konnten nicht beibehalten werden. Der britische Rüstungsetat wurde schließlich eingefroren. Die veränderte Situation im Rüstungsgeschäft hat nun dazu geführt, daß kleinere Unternehmen wie Ferranti zunehmend verwundbar sind. Den Markt teilen sich einige wenige Rüstungsgiganten, die außerdem ein Bein in der zivilen Elektronikindustrie haben. So wittern etwa in der Bundesrepublik Siemens oder Daimler -AEG nicht zu Unrecht ihre größte Chance. Der niederländische Multi Philips hat sich allerdings vollends aus der Rüstung zurückgezogen und diesen Bereich an Thomson verkauft. Mit dem Übernahmeangebot an Ferranti will sich Thomson nun in das europäische Kampfflugzeug-Programm einkaufen, das ein gemeinsames Projekt von Großbritannien, der Bundesrepublik, Spanien und Italien ist. Die Zeiten, als sich Rüstungskonzerne durch Pochen auf nationale Interessen vor Übernahmen schützen konnten, sind vorbei.

Bei all den betügerischen Turbulenzen, die letztendlich die heutige Lage Ferrantis herbeigeführt haben, dürfte es ein schwacher Trost für die Firma sein, daß auch andere Branchen in ähnliche Schwierigkeiten geraten sind. Erst dieser Tage muß die italienische Banca Nationale del Lavoro (BNL) feststellen, daß ihr US-Ableger in Atlanta, Georgia, drei Milliarden Dollar Kredite an den Irak gegeben hat, die sie nun offenbar in den Wind schreiben kann. Mit den Geldern wurden nämlich nicht, wovon die römische Zentrale der Bank eigentlich ausgegangen war, sinnvolle Investitionsprojekte finanziert, sondern die Entwicklung einer ballistischen Rakete. Ob Rüstungsaufträge fingiert sind oder nicht, die Tocherunternehmen im Land der unbegrenzten klandestinen Waffendeals zeigen ihren Muttergesellschaften zu deren Verdruß einmal so richtig, was dort unter der Decke alles möglich ist.

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