: Der Giftmüll nähert sich Emden
Die Genehmigung des Wirtschaftsministeriums für den Giftmüllumschlag in der niedersächsischen Hafenstadt wird erwartet ■ Von Hannes Koch
Hannover (taz) - „Die CDU/FDP-Regierung in Hannover schreckt nicht davor zurück, die Emdener Bevölkerung völlig zu verarschen“, empörte sich Thea Dückert, die Odenburger Abgeordnete der Grünen im niedersächsischen Landtag. Nicht nur das, auch Emdener Kommunalpolitiker fühlen sich verschaukelt. Gunter Hummerich, FDP-Fraktionsvorsitzender Emdener Stadtrat, erklärte am Mittwoch: „Die Haltung der FDP -Landtagsfraktion ist mir unerklärlich. Die Sanierung der Nordsee wird durch diese Politik unterlaufen.“
Thema des Tages in Emden ist das geplante Umpumpen Tausender Tonnen chlorierter Kohlenwasserstoffe (CKW) von Flußschiffen auf Hochseeverbrennungsschiffe im Emdener Hafen. Weil seit dem 4.Oktober 1989 Antwerpen in Belgien für den krebserregenden CKW-Müll geschlossen ist, soll die gefährliche Brühe aus der BRD jetzt in einem bundesdeutschen Hafen auf das Verbrennungsschiff „Vesta“ umgeladen und von dort, wie gehabt, zur Verbrennung auf die Nordsee gekarrt werden. Spedition Frisia hat beim Hafenamt in Emden eine Umladegenehmigung beantragt, über die Niedersachsens Wirtschaftsminister Hirche (FDP) entscheiden muß. Die Fraktionen im Emdener Stadtrat haben sich Ende September einstimmig gegen diese Genehmigung ausgesprochen.
Bei der niedersächsischen Landesregierung zeichnet sich jetzt ab, daß die Frisia ihre Genehmigung trotzdem erhält. Zwar ist die offizielle Entscheidung noch nicht gefallen, doch Ministerpräsident Albrecht (CDU) erklärte am Dienstag: Bis andere technische „Lösungen“ zur Beseitigung des CKW -Mülls zur Verfügung stünden, sei die Seeverbrennung unumgänglich. Der ewig grinsende Landesvater wartet in der Zwischenzeit darauf, daß die Chemieindustrie selbst Recyclingmethoden entwickelt. Weil derartige Verfahren augenblicklich nicht in großem Maßstab vorhanden sind, besteht die Gefahr, daß die Giftmüllverbrennung auf der Nordsee bis Ende 1994 - dem von der zweiten Nordsee„schutz„konferenz festgelegten Termin für das Ende der Seeverbrennung - fortgesetzt wird.
Hilfe für Albrecht kam kürzlich von Bundesumweltminister Töpfer aus Bonn. Um die unsicheren Kantonisten in Hannover u.a. die Landes-FDP - unter Druck zu setzen, rief er den „Entsorgungsnotstand“ aus, weil bald zu befürchten sei, daß der CKW-Müll mangels Entsorgungsmöglichkeit illegal in die Gegend gekippt, anstatt ordentlich auf der Nordsee verbrannt werde. Auf ihrer Klausurtagung entschied sich die niedersächsische FDP-Fraktion schließlich am Wochenende, dem Umladen zuzustimmen, wenn, wie zu erwarten ist, das Hafenamt keine sicherheitstechnischen Bedenken hat. Gunter Hummerich kann das überhaupt nicht verstehen: Wirtschaftsminister Hirche soll „aus politischen Gründen Nein sagen und die Sache dann notfalls den Gerichten überlassen“.
Die GegnerInnen der Giftmüllverbrennung wollen nicht auf die Industrie warten. „Der Darmverschluß muß erzeugt werden“, so Stefan Lutter, Meeresbiologe beim World Wildlife Fund. Thea Dückert fordert, „das Schlupfloch der billigen Seeverbrennung schnellstens zu schließen“ und ein „Rücknahmegebot“ zu verhängen, damit die Produzenten der CKWs, die großen Chemiekonzerne, ihren Giftmüll zurückbekommen und unter diesem Druck die Produktion dieser Stoffe einstellen.
Unterdessen werden in Emden die Strukturen der Anti-AKW -Blockaden gegen die Atomtransporte von 1988 reaktiviert. Mitglieder des Emdener Anti-Atom-Plenums haben eine „Bürgerinitiative gegen Seeverbrennung“ gegründet. Gleich 300 Interessierte kamen zur Gründungsveranstaltung, Greenpeace brachte es bei einer Infoveranstaltung sogar auf 1.000 Besucher. Gisela Khan vom Anti-Atom-Plenum kündigt für den Fall der Genehmigung die Beobachtung der Giftschiffe auf ihrem Weg nach Emden und eine Großdemonstration für den Tag des ersten Umschlags an. Es steht zu befürchten, daß Wirtschaftsminister Hirche sich aus der Affäre zieht, indem er Bonn die letztendliche Entscheidung zuschiebt.
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