: Kulturpolitik und Aufforstung
Gespräch mit Norbert Kentrup vom Theater-Kollektiv „bremer shakespeare company“ ■ Hierhin bitte
das Foto mit dem Bart
und Brillenmann
taz: Du hast auf Eurer Pressekonferenz neulich angeregt, die Kulturbehörde aufzulösen und dieses Geld selbstbestimmt zu verteilen. Was sagt Horst-Werner Franke dazu?
Norbert Kentrup: Er kann gar nichts dagegen sagen, die Argumentation ist relativ schlüssig. Aber er sagt zu Recht: Sie werden mit meiner Partei nicht glücklich. Ich habe hier den Kulturentwicklungsplan bis '95: 25 Mio. sind für die Theatersanierung angegeben, es gibt keine neuen Planmittel, dieser ganze Plan sieht bis '95 keinerlei Entwicklung vor außerhalb der städtischen Kultur-Institutionen, die eh schon 73 Mio. verbrauchen. Aber da steht auf Seite 110: „Neben der Pflege und Unterhaltung historisch gewachsener öffentlicher Kulturinstitutionen, ist die freie Künstlerszene der Motor für die ästhetische Entfaltung und Selbstdarstellung der Stadt und ihrer Bürger“. Aber in dem Entwicklungsplan ist genauso zu lesen, daß er für den Motor null Mark hat, außer den Lottomitteln. Und meine Position ist: Jede müde Mark für Kultur!
Wie sieht's im Moment beim „Motor“ Shakespeare-Company aus?
Die Shakespeare-Company versucht, mit arbeitsteiligen Funktionen wie Inszenieren, Übersetzen, Organisieren, Schreiben, Spielen, Büro, Schneiderei, Technik, diese Selbstbestimmung, diese Utopien: Form, Inhalt und Produktionsweise, noch zu behaupten, daß die zusammengehören, und da beißt es sich mit der SPD so entsetzlich, weil da noch ein absolut hierarchisches
Weltbild existiert. Darum muß man auch kein Erbarmen haben, wenn Franke jetzt wieder diese Prügel bekommt wegen des Musikfests.
Hält er das gut aus?
Nein, der hält's nicht mehr aus, Gott sei Dank. Das ist etwas, wo ich ihn dann auch wieder mag, weil er das als Mensch immer weniger aushält.
Wie verträgt sich Dein kulturpolitisches Engagement mit dem Schauspielen?
Das ist meine Realitätserfahrung, ich mache das ja 24 Stunden am Tag. Ich möchte ja was kapieren über Theaterspielen, oder möchte weitervermitteln, daß wir versuchen, am Kollektiv zu lernen. Das ist ja der verzweifelte Versuch: Gibt es andere gesellschaftliche, relevante Modelle. Deswegen bin ich z.B. immer wieder für eine Vergrößerung des Theaters gewesen, damit es nicht so eine Kleinfamilie bleibt.
Größenordnung Staatstheater?
Das wär mir auch egal. Das ist nicht der Punkt. Es muß ja da hingehen, daß die großen Betriebe auch anders organisiert werden, und für mich gibt es diesen Fetisch Apparat nicht. Auch in großen Apparaten könnte „sich selbst bestimmen“ möglich sein. Es ist natürlich zermürbend, mit Bürokratien umzugehen. Solange wir aber radikal das tun, was uns Lust macht, bedeutet das, sich wirklich einzumischen. Wo stehen wir?
Was bedeutet das denn konkret in eurer Gruppe nach sechs Jahren?
Es passieren Veränderungen, gleichzeitig ist der Kern noch sehr stabil. Es gibt viele Debatten: Wo stehen wir jetzt, was halten wir noch aus, können wir noch miteinander? Wir haben uns vergrößert, die Hälfte ist nicht mehr Gründungsmannschaft. Und die interessieren zu Recht nicht mehr unsere Leichen im Keller. Meine zum Beispiel: wieviel Ungeduld ich hatte, gespeist aus der Angst, wenn jetzt nicht sofort passiert,
was ich haben will, daß dann sofort der Apparat zusammen bricht. Dadurch gab's starke Konflikte untereinander. Wir können damit jetzt besser umgehen, was wir nicht können.
Saturierte Gefühle stellen sich nicht ein?
Wir mochten unser Theater immer. Wir fanden immer gut, was wir gemacht haben. Jetzt haben wir 14 Stücke im Repertoire, wo ich sage, das ist nicht falsch. Der Krämer hat 40 Mio. Mark verbraucht in der Zeit, und jetzt ist er in Köln. Es ist doch idiotisch, Leute zu subventionieren, die eh weggehen. Wir sagen: Subventioniert doch mal Leute, die bleiben wollen.
Ein wesentlicher Motor, dieses Theater zu gründen, war ja '83 die Friedensbewegung, also eine Geschichte der Alt-68er. Plötzlich entstand da ein Punkt von Freundlichkeit. Uns war von Anfang an Selbstbestimmung das wichtigste: Dagmar Papula wollte immer schreiben, Rainer Iwersen und Chris Alexander wollten übersetzen. Das ist ja die große Qualität von diesem Theater, daß jeder seine ganz bestimmten Interessen und Träume und eigenen Projekte einfließen lassen kann. Wir haben sieben Stücke, die aus eigener Energie im Spielplan sind. Im Moment ist bei uns die Entwicklung: Noch mehr und immer stärker zum eigenen Ausdruck kommen. Wenns nur alles nicht so langsam gehen würde. Und man nicht so gequält würde vom Geldverdienen.
Was verdient ihr eigentlich?
Wir zahlen uns im Moment 1400.-Mark aus, also taz-Lohn. Das ist auf die Dauer schon gar nicht mehr interessant, darüber zu reden. Interessant ist für mich, daß dieses Kollektiv auch ein Korrektiv ist. Das, was dem Thomas Albert gerade passiert, passiert deswegen, weil er keinen gehabt hat, der ihn zusammengestaucht hat. Bei uns ist irgendwo jeder auf seine Art ein Leithammel.
Eure öffentlichen Proben sind ja eine ganz besondere Besonder
heit. Hat das nicht manchmal etwas Retardierendes?
Das ist immer eine Frage der Qualität der Probe. Also: Wenn wir auf der Probe wirklich forschen, rauskriegen wollen, was los ist, dann kommt niemals die Frage: „Sagen Sie mal, wie lernen Sie den Text? “. Wenn wir weiter neugierig sind, sind die Leute auf demselben Trip.
Aber Ihr seid ununterbrochen unter Betrachtung der Öffentlichkeit.
Richtig, da liegt ja der Speedy drin. Dieser Punkt der Öffentlichkeit ist der Realitätsbezug, der bei diesem Dauerstreß ungeheuer heilsam ist, weil du dich da immer wieder messen mußt. Es ist das, was weiterbringt. Wie es schön wäre
Ihr wollt Euch nun aber in Zukunft kulturpolitisch heftig einmischen?
Wir hatten die Idee, eine Sache ins Leben zu rufen, wo Kultur-Fachleute zusammenkommen und miteinander reden. Und nicht mehr sagen, der Senat soll da und da die Kohle geben, sondern: Wie wäre es eigentlich schön, wenn wir das Sagen haben. Also: Wie müßte man eine Stadt kulturell aufforsten. Und dann wäre toll, wenn wir für verschiedenste Bereiche Spezialisten fänden: Theater, Musik, Bildende Kunst, Architektur, Stadtplanung, Jugendkultur, Altenkultur, Zeitungskultur, Festivalkultur, Veranstaltunsorte, politische Kultur. Das heißt: Die Produzenten beschreiben einfach mal, wie es schön wäre. Und die anderen Bereiche hören alle an dem jeweiligen Abend zu; auch die Parteien werden eingeladen, als Lernende, nicht zum Mitdiskutieren. Und vor der nächsten Wahl werden dann „Prüfsteine“ hergestellt von den Kulturproduzenten der Stadt. Da begreife ich unser Theater als sehr relevant innerhalb einer Stadt wie Bremen, die genauso pleite ist wie wir. Es wäre mal wieder ein Punkt, zu beschreiben, wie es sein müßte. Fragen: clak
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