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Aus dem Reich der Toten

■ Stephen Kings neuer Roman „Stark - The Dark Half“

Stephen King hat sein Leben und sein Bankkonto der Aufgabe gewidmet, den Leuten eine Heidenangst einzujagen. Er ist ziemlich gut in seinem Job und er ist ein sehr fleißiger Angstmacher.

Jedes Jahr beglückt er uns mit mindestens zwei dicken Gruselwälzern. Dabei konnte man bis jetzt immer großzügig darüber hinwegsehen, wenn einem einige Ideen seiner Geschichten schon von anderen Autoren phantastischer Literatur bekannt waren. So schaffte er es zum Beispiel mit seinem Buch „Brennen muß Salem!“ (Salem's Lot) den Vampirroman wiederzubeleben. Und fast immer gelang es ihm, mit seinen Stories in eine neue Dimension des Grauens einzubrechen, wobei sein makabrer Humor den Alpträumen die richtige Würze gab. Wie es momentan aussieht, ist das vorbei. Stephen King scheinen die Ideen auszugehen.

Schon sein vorletztes Buch, „Drei“ (The Drawing of the Three), der zweite Band eines gigantischen Fantasy-Epos und, zugegeben, recht spannend geschrieben, ist ein wildes Sammelsurium der verschiedenen Genres Horror, Krimi und Westernroman. Die Handlung wird dabei auf dem blutigen Altar der Schockeffekte geopfert.

Der „neue“ King, „Stark“ (The Dark Half), erzählt von den Schwierigkeiten, die der Schriftsteller Thad Beaumont mit der Unterhaltungsliteratur hat. Nachdem Beaumonts erste Bücher ihm zwar literarischen Ruhm, aber kein Geld eingebracht hatten, entschloß er sich unter dem Pseudonym George Stark einige blutrünstige Thriller zu schreiben. Als er genug Geld mit dem Schund verdient hat, will Beaumont endlich wieder ein „gutes“ Buch schreiben. Sein Pseudonym läßt er symbolisch zu Grabe tragen. Aber Thad Beaumonts zweite Existenz, die dunkle Hälfte seines Schriftstellerdaseins, kommt zurück. George Stark kriecht aus seinem Grab und wird für seinen Schöpfer und dessen Freunde und Verwandte zu einer tödlichen Bedrohung. Stark ist aber auch von Thad abhängig. Er kann nur leben, solange Thad unter seinem Namen schreibt. Es ist eine Art teuflischer Zwillingsexistenz, die beide verbindet, und nur sie setzt Thad in die Lage, den skrupellosen Gegner, sein eigenes Geschöpf, endgültig zu vernichten.

Die Geschichte hätte auf 200 Seiten bequem Platz gehabt. King bläht sie auf 475 auf. In vielen seiner früheren Büchern schaffte er es, die Spannung über hunderte von Seiten auf einem hohen Niveau zu halten. Hier scheitert er. Der Spannungsbogen reißt dauernd ab, der Autor wird geschwätzig und über lange Strecken plätschert die Geschichte wie eine billige Illustrierten-Story dahin. Hinzu kommt, daß der Gruselkönig wieder kräftig bei sich selbst und bei seinen Kollegen abgekupfert hat. So kennen wir natürlich die Geschichte des Schriftstellers, der hin- und hergerissen ist zwischen E- und U-Literatur, schon aus seinen Büchern „Es“ (It) und „Sie“ (Misery). Die Telepathie zwischen positivem Held und Mörder erinnert verdammt an den Roman „Moon“ von James Herbert (den King sehr schätzt). Die brutalen Rasiermessermorde sind fast identisch mit denen, die sein Horror-Kollege Ramsey Campbell in „Dieses Gesicht muß sterben“ einen Psychopathen begehen läßt. Wirklich peinlich sind aber die Parallelen zu Hitchcocks Film „Die Vögel“. King beschreibt fast exakt einige Filmszenen. Da hilft es auch nicht, daß er in seine Handlung einen Hinweis auf die literarische Vorlage des Films („Das ist fast so wie in der Geschichte von Daphne du Maurier.“) einbaut. Und der Schluß des Romans ist purer Kitsch. Großes Happy-End.

Liegt Stephen King also im Sterben oder ist er gar schon tot? Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Und selbst wenn seine literarische Elefantiasis ihm den kreativen Tod beschert hat, ein Horror-Schriftsteller hat immer die Möglichkeit, aus dem Reich der Toten zurückzukommen.

Karl Wegmann

Stephen King: Stark. Hoffmann und Campe. 475 S., 39,80 DM.

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