Schwarzer Montag in Frankfurt

■ Kaum war der 1987er Crash verdaut, sorgt der nächste für Tumulte auf dem internationalen Börsenparkett

Kleine Anlässe, große Wirkungen. Zur Finanzierung von Firmenübernahmen in den USA wurden jahrelang immer riskantere Wertpapiere verkauft. In einem einzigen Fall haben sich jetzt US- und japanische Banken geweigert, einem 6,8-Milliarden-Dollar-Deal ihre Zustimmung zu geben - unter anderem weil ihnen die Gewinnspannen zu mager erschienen. Prompt reagierte die Spekulation, als ob das ganze Kartenhaus der kreditfinanzierten Aufkäufe zusammenbrechen würde. So machten am Montag Kursverluste auf dem Aktien- und Devisenmarkt ihren Weg um die Welt. Was in Tokio noch verhältnismäßig harmlos begann, wuchs sich in Frankfurt zu einem regelrechten Crash aus - bedeutender noch als der „schwarze Montag“ vom 19. Oktober 1987.

Gebannt schauten die westeuropäischen Geld- und AktienhändlerInnen am Montag auf das Vorrücken der Zeit. Zwar hatten die Wochenendbörsen von Taiwan und Israel ebenfalls auf den Kurssturz um 190 Punkte reagiert, mit dem sich Wallstreet am Freitag verabschiedet hatte. Doch die beiden Börsen waren zu klein, um die Frage zu beantworten, ob der Minicrash von Freitag, dem 13., zu einem „schwarzen“ oder nur einem „grauen“ Montag führen würde. Die Spekulation ging davon aus, daß aus der Reaktion der Pazifikbörsen, vor allem der japanischen, zu entnehmen sein könnte, was danach in Westeuropa und vor allem in Wallstreet passieren würde.

Als erstes öffnete am Montag die Börse in Neuseeland - und meldete einen Kurssturz von elf Prozent, deutlich mehr als die 6,9 Prozent vom New Yorker Freitag und der stärkste Verlust seit dem Crash vor fast genau zwei Jahren. Zwei Stunden später begann der Handel im australischen Sydney; die Anteilsscheine verloren sofort 8,7 Prozent ihres Wertes und pendelten sich später bei 7prozentigen Verlusten ein. In der wichtigen Börse von Tokio schließlich gingen die Kurse mit der Eröffnung zwar ebenfalls in die Knie. Doch erstaunlicherweise blieben die Verluste beim Ertönen der Glocke bei überraschend niedrigen 1,8 Prozent.

Und das, obwohl Börsengerüchten zufolge das Finanzministerium den in den USA tätigen japanischen Banken empfohlen hatte, bei der Finanzierung der riskanten Firmenübernahmen in den USA vorsichtiger zu sein. Außerdem soll das Ministerium den japanischen Versicherungen empfohlen haben, ihre US-Finanzanlagen, rund 150 Milliarden Dollar, zu verringern. Doch noch am Samstag berichteten Tokioter Zeitungen, daß der Sturz vom Freitag auf hausgemachte Ursachen in den USA zurückzuführen sei und nicht etwa von pessimistischen Zukunftsaussichten der US -Wirtschaft abhängig gewesen sei. Zudem sollen die Behörden die Tokioter Händler davor gewarnt haben, am Montag zu hastig vorzugehen.

So überstand auch die Börse von Hongkong - die wohl labilste und spekulativste im pazifischen Raum - den Montag noch glimpflich und meldete wie ihre Schwestereinrichtungen in dieser Region einen Kursverlust von sieben Prozent. Blieb der 16.Oktober im Pazifik noch ein „grauer Montag“, verdüsterte er sich dann in Westeuropa. In Frankfurt war er zum Börsenschluß tiefschwarz.

Eine Flut von Verkaufsaufträgen sorgte schon dafür, daß sich die erste Kursfeststellung um zwanzig Minuten verzögerte. Vor allem die Privatkundschaft, kleine und mittlere Anleger, wollten sich möglichst schnell von ihren Anteilsscheinen trennen. Die Verkäufe nahmen in einem solchen Maße zu, daß dann auch ausländische Besitzer und schließlich die großen institutionellen Investoren, also etwa Banken und Versicherungen, kalte Füße bekamen. Die äußerst seltenen Dreifachminus-Ankündigungen (jedes Minus deutet auf fünf Prozent Kursverlust) wurden immer häufiger, und als die Börse mit 75minütiger Verspätung schloß, stand es fest, daß gestern in Frankfurt die höchsten Verluste der Nachkriegszeit gemacht worden waren: Der gebräuchlichste Durchschnittswert, der Frankfurter Aktienindex (DAX), war um 12,8 Prozent gefallen. Vor zwei Jahren wäre der DAX, hätte es ihn damals schon gegeben, nur um 9,41 Punkte gesunken. „Mit derartigen Verlusten haben wir nicht gerechnet“, zitierten Nachrichtenagenturen einen Wertpapierhändler.

Schwer erwischt hat es auch die anderen westeuropäischen Börsen: In Brüssel, Mailand und Madrid mußten die Notierungen zeitweilig ausgesetzt werden. Die Einbußen erreichten hier ebenfalls zweistellige Ausmaße. Besonders erwischt hat es einzelne Werte im Finanzzentrum London, weil die Kurse dort, ähnlich wie in New York, durch besonderts viele Übernahmen aufgebläht worden waren. Während am Nachmittag von Kursverlusten um sieben Prozent die Rede war, verlor die derzeit besonders heftig nachgefragte Aktie von BAT gleich zu Beginn mehr als zwölf Prozent. Für British American Tobacco liegt ein Übernahmeangebot vor, das ebenfalls mit hochriskanten „Junk-bonds“ (siehe unten) finanziert werden soll. An der New Yorker Börse verzögerte sich die Festlegung der ersten Notierungen wegen einer Flut von Verkaufsaufträgen ebenfalls.

Verkehrte Welt: Mit den nachgebenden Kursen hatte schon in Fernost auch die Flucht aus dem Dollar begonnen, der sich in Westeuropa weiter fortsetzte. In den letzten beiden Wochen hatten die Notenbanken weltweit mit Milliardenbeträgen versucht, ein weiteres Ansteigen des Greenback zu verhindern, um das weltwirtschaftliche Gleichgewicht nicht noch stärker in Unordnung zu bringen. Jetzt mußten sie bereitstehen, um einen Sturz der Weltdevise zu verhindern. Der allerdings endete am Nachmittag an den Devisenmärkten relativ glimpflich. Er fiel von 1,9022 auf 1,8447 D-Mark oder rund sechs Pfennig, ohne daß die Bundesbank oder andere Notenbanken am Markt interveniert hätten. Die Anleger, die sich von ihren Aktien getrennt haben, blieben angesichts der weitverbreiteten Unsicherheiten über die Devisenkurse der nächsten Tage zunächst lieber in den jeweiligen Währungsmärkten und wechselten etwa zu Staatsschuldverschreibungen oder auch ins Gold.

Das blieb allerdings mit 366,45 Dollar für die Feinunze nach 363,20 Dollar am letzten Freitag noch relativ ruhig. Wer in Frankfurt ins Gold ging, hatte wiederum durch den gefallenen Dollarkurs Pech: Der Kilobarren war am Ende des Handelstages „nur“ noch 21,880 D-Mark (nach 22,230 am Freitag) wert. Wer sich nicht schnell genug von seinen Aktien trennte, konnte sich gestern nachmittag folgende Verluste hinter die Ohren schreiben: Daimler-Benz 111, Deutsche Bank 87,30 D-Mark, Mannesmann 84, VW 78,50, Kaufhof 80,50 und Karstadt gar 118 D-Mark.

Dietmar Bartz