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Telefon ganz soziologisch

■ Erstes internationales Symposium zur Soziologie des Telefons in Hohenheim

Ein altes Sprichwort sagt, daß man sich schlecht gegen falsche Freunde schützen kann. Ähnlich verhält es sich wohl auch mit wissenschaftlichen Themen. Ist erst einmal ein neuer „Gegenstand“ ins Visier genommen und steht zudem noch ein Kongreß mit einem Financier in Aussicht, der für mehr als Knäckebrot mit Quark Sorge zu tragen scheint, kennt der gewiefte wissenschaftliche Trend-Tramper kein Halten mehr. Seit vor einigen Jahren mehrere pfiffige Publikationen zum Thema Telefon erschienen sind, wurde allmählich das Ausmaß einer Wissenschaftslücke ahnbar, die zu schließen beinahe jede wissenschaftliche Disziplin sich zur Aufgabe machte. Die Nase vorn haben anscheinend die Mitarbeiter eines Berliner Forschungsprojekts Telefonkommunikation an der Freien Universität. Eine ganze Reihe von Sponsoren vom Berliner Senat über die Post bis hin zur gemeinnützigen SEL -Stiftung für technische und wirtschaftliche Kommunikationsforschung fand sich bereit, ihre Aktivitäten zu unterstützen.

Auf einem dreitägigen Symposium an der Universtität Hohenheim vom 11. bis 13. Oktober sollte nun ein erstes Resümee der bisherigen Forschungen zum Thema gegeben werden. Die Motivation für Forscher und Geldgeber hätte nicht besser sein können, ist doch das Telefon bislang noch nicht in Gefahr geraten, wegen irgendwelcher in Kauf zu nehmenden ökologischen oder sonstigen schädlichen Begleiterscheinungen in Mißkredit zu geraten - kein Wunder, daß sich plötzlich viele Leute für diesen anscheinend einzig unschuldigen Sprößling der Modernisierung interessieren.

Unzweifelhaft ist das Telefon ein Objekt, mit dem so viel hantiert und von dem so viel an Gefühlslage des neuzeitlichen Menschen bestimmt wird, daß es einem Wunder gleichkommt, wie wenig es wiederum an Nachdenken ausgelöst hat. Aus sehr eingeschränkten Blickwinkeln - damit auch schon die Vielfalt der Nutzungsmöglichkeiten andeutend sind es bisher vor allem die Telefonseelsorger und die Telefonmarketingexperten gewesen. Letztere fanden sich denn auch als eher abgeschlossene Unterpopulation recht zahlreich zum Symposium ein und konnten freudig berichten, daß nunmehr mit der Digitalisierung des Telefonwesens ganz neue, computergestützte Möglichkeiten der Sample-Bildung und Anwahl existieren. Nur die immer noch verbreitete Unlust der Angerufenen am Interview und an Verkaufsgesprächen läßt sich anscheinend mit diesen neuen Waffen nicht so recht brechen. Falls sie jedoch die Hoffnung gehabt haben sollten, daß ihnen die Linguisten und Sprachforscher bei der Lösung dieses Problems hilfreich zur Seite stehen würden, werden sie wie viele andere auch enttäuscht von deren Beiträgen nach Hause gegangen sein. Denn nachdem diese schon Wittgensteins Ermahnung, daß sich über die Sprache sprachlich schwer etwas aussagen lasse, nicht beherzigen wollen, können sie es anscheinend erst recht nicht lassen, sich an anderen Themen zu vergreifen. Die Resultate waren teils bühnenreif - so, wenn Frau Prof. Dr. Edeltraud Bülow von der Universität Münster die schlichte Tatsache, daß man sich beim Telefonieren nicht sehen kann, auf die einleuchtende Formel brachte: Man habe es hier mit der „Non -Visibilität eines phonetischen Sprach(-teil)-Aktes“ zu tun. Wie wahr!

Interessant waren in dieser Arbeitsgruppe allein die Beobachtungen eines Japanologen zu den Höflichkeitsritualen der Japner, wenn sie miteinander telefonieren. Der Anrufende sieht sich hier zu zum Teil sehr umständlichen Untertänigkeitsbezeugungen gegenüber dem Angerufenen genötigt - einer andauernden Entschuldigung für das Eindringen in die Intimsphäre eines anderen.

Überraschend waren im allgemeinen die Berichte über Telefonpraktiken im Ausland. So sind in den USA zur Zeit die party lines ein großes Geschäft. Auf eine bestimmte Nummer können sich bis zu zehn Anrufer aufschalten lassen, um dann in einer Art Konferenzschaltung anonym über vorgegebene Themen verkehren zu können. Es gibt Betroffenengruppen zum Beispiel von Aids-Kranken, Eltern und anderen; den größten Anklang finden jedoch die Oral-Sex -Sessions, in denen nach Mundeslust geferkelt werden kann. Mittlerweile jedoch in einigen Staaten nur unter Anteilnahme eines zensierenden operators, der die größten Ferkel und Jugendliche ausklicken kann. Ähnliches ist in absehbarer Zeit auch hier zu erwarten, nachdem die Post erste Probeläufe in Köln und andernorts zugelassen hat.

In den dünner besiedelten Regionen Australiens und der USA spielt das Telefon eine entscheidende Rolle bei der Ausbildung einer „elektronischen Nachbarschaft“, einem hierzulande eher in den Städten zu beobachtenden Phänomen. Bekanntschaften und Freundschaften können wegen der immer knapper werdenden Zeitbudgets und der immer größer werdenden Probleme mit den Transportmitteln nur noch mit Hilfe des Telefons aufrechterhalten werden. Der Wunsch nach Intimität wird vorzugsweise mit einem Medium befriedigt, dessen Möglichkeiten von jedem Sprecher immer wieder neu individuell ausgelotet werden können. Der Schutz der Privatsphäre wird umgekehrt zusehends mit technischen Barrieren wie dem lautsprechenden Anrufbeantworter erkauft, bei dem man entscheiden kann, ob man den Anruf abnimmt oder nicht. Eine möglicherweise verhängnisvolle Schere tut sich da auf: Jeder will zu jeder Zeit von jedem Ort aus anrufen, während niemand mehr gern angerufen wird. Ein Ausweg aus diesem Dilemma scheint die bevorstehende Einführung der Anruferidentifizierung zu sein. Die Nummer des Anrufenden soll auf einem kleinen Display des klingelnden Telefons zu sehen sein. Wehe dem, der sein Telefonverzeichnis nicht im Kopf hat!

Vor allem die ansonsten durchgängig drögen Vertreter der Post sowie die zahlreichen vortragenden Marketing-Experten aus den prosperierenden Unternehmen der Telekom-Industrie, d.h. die Ausstattungsmerkmale von Philips bis SEL konnten sich gar nicht genug freuen über die zahlreichen neuen Features der in Zukunft frei verkäuflichen Endgeräte. Nachdenklichkeit über die Auswirkungen, zumal wenn von einer wachsenden Verknüpfung mit anderen Techniken wie Bild -/Datenübertragung und -speicherung auszugehen ist, war weniger gefragt.

Dem Anspruch, im deutschen Sprachraum zum ersten Mal intensiv über die besonderen Eigenarten des Mediums Telefon nachzudenken, wurden am ehesten die historischen Beiträge gerecht. So wurden Modelle vorgestellt, mit denen sich möglicherweise die sehr unterschiedliche Akzeptanzgeschwindigkeit in verschiedenen Kulturen erklären lassen. Endlich einmal hat sich jemand hingesetzt und Kafkas Telefonfaszination und -obsession aufgearbeitet; über das Telefon im Film, wo es, andes als im Theater, zum zeitsparenden und verschiedenen Ort miteinander verbindenden Dramaturgen geworden ist, existiert eine hochinteressante Studie, die zum Teil in einem Materialeinband zum Kongreß abgedruckt ist.

Ebendort findet sich auch ein Nachdruck eines Artikels von Franziska Baumgarten aus dem Jahre 1931, dessen Hellsichtigkeit zum Thema Psychologie des Telefonierens jedenfalls von keinem der Referenten überboten werden konnte. Ein Beispiel: „Das Telephon verändert die Stimme, nimmt ihr den Timbre und macht sie schärfer und durchdringender. Es eignet sich daher sehr schlecht zum Erwecken und Aussprechen des Mitleids.“

Wer dagegen wie Eberhard Witte, einer der Telekommunikationsstrategen der Bundespost, meint, eine Soziologie des Telefons habe sich mit der Tatsache zu beschäftigen, daß es keinen Abfall mache, hat sich wohl verwählt.

Joseph Hoppe

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