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Unsterblichkeit als Dorfposse

■ In Darmstadt wurde „Der Stein der Weisen“ uraufgeführt

Die Geschichte, die sich der junge österreichische Schauspieler mit dem Pseudonym Franz Helm für sein erstes Theaterstück ausdachte, hat etwas Monumentales an sich: Der Totengräber eines Dorfes findet beim Graben den „Stein der Weisen“, und von nun an sterben die Dorfbewohner nicht mehr. Ob sich der Debütant da nicht übernommen hat, denkt man sofort - und dann denkt man an Sartre. Ihm ist in der „Geschlossenen Gesellschaft“ eine Darstellung des Unsterblichkeitsthemas gelungen, indem er den Blick auf die Personen gerichtet hat: Wie werden sie mit der absurden Situation fertig, plötzlich nicht mehr vor dem Tod, sondern der ewigen Ödnis Angst zu haben?

Der Autor ist seinem eigenen Thema nicht gerecht geworden. Anstatt an einzelnen Personen duchzuführen, was die Unsterblichkeit in ihnen auslöst, was mit ihnen geschieht, bringt er eine Unzahl von Typen auf die Bühne und läßt die Theatermaschinerie den Gang einer Posse gehen. Der Dorfarzt entdeckt zuerst, daß es mit dem Sterben ein Ende hat, der Wirt wittert Fremdenverkehr und die Jungbäuerin verzweifelt: Die Großmutter lebt weiter, die Erbschaft rückt in weite Ferne. Zwar erlaubt sich Franz Helm auch Possenuntypisches, hauptsächlich aber reiht er Klischees aneinander.

Wenn man ein solches Stück inszeniert, lassen die Schwierigkeiten nicht auf sich warten. Der Regisseur Wolf Dietrich Sprenger, so scheint es, hat die Flucht nach vorne angetreten. Dabei kam eine Darmstädter Uraufführung heraus, die zwar besser als die Vorlage ist, gegen Ende aber doch aus den Fugen gerät.

Und dabei fängt es so gut an: Es ist Fasnachtszeit, auf dem Dorf geht es turbulent zu. Das Darmstädter Ensemble nimmt dieses Tempo auf, Michael Erhard spielt an Klavier und Synthesizer Musikarrangements von Bachs „Oh Haupt voll Blut und Wunden“ bis „I want to be loved by you“. Die Schauspieler stoppen den allzu glatten Gang in die Ewigkeit immer wieder mit Revueeinlagen; bis zur Pause holt der Regisseur aus dem Stück, was daraus zu holen ist. Aber nach und nach schleichen sich inszenatorische Überreaktionen ein, die die Schwächen des Stücks verdecken sollen.

Am Ende des Stücks hat das Personal des Dorfes gewechselt, die ehemaligen Einwohner haben sich ihr Wohnrecht millionenschwer abkaufen lassen. Dorfbewohner sind jetzt unter anderem der Papst, der russische und der amerikanische Präsident. Jeder ahnt, was kommen muß: Die Präsidenten drücken den roten Knopf, über Fernsehmonitore flimmert „The Day After“, und irgendwann wird es dann endlich auch dem Totengräber zu viel - er zerbricht den „Stein der Weisen“. Daß auch noch das atomare Inferno per TV herhalten muß, um die „neue Sterblichkeit“ zu bebildern - das ist dann schon längst nicht mehr witzig.

jüb

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