: Neu im Kino
■ „Wallers letzter Gang“
Die Gleise einer stillgelegten Eisenbahnstrecke, auf der schon kniehohes Gras zwischen den Schwellen wachsen - ein alter Streckengeher, der noch einmal seinen Gang macht, und weiß, daß er genauso stillgelegt wird. Das ist der Stoff, aus dem man wunderschön Weltschmerz tropfen lassen kann. Und das tut Christian Wagner dann auch ausgiebig: mit ruhigen, elegischen Bildern der idyllischen Eisenbahnstrecke im Allgäu und vielen Großaufnahmen des alten Mannes (Rolf Illig), dessen Gesicht und behäbige Bewegungen eine dickköpfige Würde vermitteln, durch die der Film noch knapp an der neuen deutschen Weinerlichkeit vorbeischlittert.
Die Eisenbahnstrecke, an der der größte Teil des Films entstand, wurde tatsächlich stillgelegt. Die Dreharbeiten wurden ein „Kampf gegen das Verschwinden der Drehorte“ und diese dokumentarische Qualität merkt man dem Film auch an. Die Geräusche in der Stille: die Schritte auf dem Schotter, das Klopfen des Schraubenschlüssels an den Schienen sind eingesetzt wie Museumstücke, genau wie die Mütze des Alten, sein Rucksack oder die Telefonkästchen auf der Strecke.
Der Film folgt Waller auf diesem letzten Gang, und seine Begegnungen mit Kollegen, Freunden und seiner Tochter sind allesamt einsilbige Abschiede. Wenn Wagner konsequent bei dieser kulinarischen Tristesse geblieben wäre, hätte nichts schiefgehen können, aber Waller wird auch noch von Rückblenden in schwarz/weiß heimgesucht. Und da tobt sich Wagner voll aus, mit einer unglücklichen Liebesgeschichte, Soldatenschicksal und dem missgünstigen Vorgesetzten; der Büroarbeit, die dem jungen Beamten nicht paßt und der Tochter, deren Mutter bei der Geburt stirbt. Waller kommt uns durch diese rührseligen Geschichten nicht näher, und so real die Bilder von heute wirken - die inszenierte Vergangenheit ist eine Ausstattungsorgie mit angehäuften Klischees. Isettas, Lloyds, „O Sole Mio“ und Uwe Seeler im Radio: das sind die fünfziger Jahre, wie der jetzt dreißigjährige Wagner sie sich vorstellt, und bald sucht man nur noch nach diesen Zeichen. Aber dann versöhnt uns Wagner wieder durch die originellen, fließenden Übergänge zwischen der Rückblende und dem in Farbe die Strecke abschreitenden Waller. Zuletzt sind da schon keine Schienen und Schwellen mehr, der Bahndamm ist kaum noch zu erkennen, die Brücken abgebaut. Waller verschwindet in dieser Landschaft, und das ist so wunderschön traurig inszeniert, daß einem erst, wenn man wieder aus dem Kino heraus ist, die blasphemische Frage in den Sinn kommt: „Na und ?“. Wilfried Hippen
Cinema 20.45 Uhr
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