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Die DKP ist eine zerfallene Partei"

■ Diskussionsbeiträge für den Kongreß Erneuerung der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) am kommenden Wochenende in Frankfurt/Main...

Seit der Ausarbeitung des Kommunistischen Manifests gehört die Organisationsfrage zu den grundlegendsten und zugleich umstrittensten Prinzipien des Marxismus. Ihre Beantwortung ist eng mit der Frage nach dem konkret historischen Charakter des revolutionären Prozesses verbunden. Deshalb ist auch heute unser Ausgangspunkt weder die Auslegung überlieferter Prinzipien noch die Kritik ihrer stalinistischen Verzerrungen, so wichtig dies auch sein mag, sondern unser wirklicher Ausgangspunkt ist der sich wandelnde revolutionäre Weltprozeß und die reale politische Situation der BRD.

Brauchen wir eine kommunistische Partei?

Das grundlegendste Merkmal der gegenwärtigen Etappe der Menschheitsgeschichte ist der Kampf um die Fortsetzung dieser Geschichte überhaupt. Diese absolute und unumstößliche Tatsache taucht alle unsere Vorstellungen über die Befreiung der Menschheit von Ausbeutung, Unterdrückung und Entfremdung in ein neues Licht. Sie verändert die denkbaren Formen eines Übergangs von Kapitalismus zum Sozialismus, wie auch das Sozialismusbild selbst und zwingt zum Überdenken der strategischen Optionen kommunistischer Politik und ihrer Organisation. Ein weiterer Anlaß für die Neuformulierung der Organisationsfrage ergibt sich aus tiefgreifenden Individualisierungstendenzen und letztlich auch aus der Diskreditierung des stalinistisch geprägten Parteityps. Dieser Typ hat sich vor der Geschichte und in den Augen so vieler KommunistInnen als bürokratisch, bevormundend und unbeweglich entlarvt, daß sie nicht nur die schlechte Realität der Partei kritisieren, sondern diese überhaupt infrage stellen.

Wir sind davon überzeugt, daß die Verbannung des Krieges als ein Mittel der Politik, die Abwehr eines ökologischen Holocaust und die Herstellung lebenssichernder Proportionen im Verhältnis zwischen den Industriestaaten und der Dritten Welt nur möglich sind, wenn es zu grundlegenden Veränderungen in der Produktivkraftentwicklung, der Ökonomie und der Politik aller Gesellschaften kommt. In diesem Prozeß werden sich die politischen Ziele und Methoden aller politischen Kräfte ändern müssen, und die Hauptaufgabe der vor uns liegenden Etappe kann nur durch das gemeinsame Handeln unterschiedlicher weltanschaulicher Lager gelöst werden. Die KommunistInnen nehmen dabei keine Sonderstellung ein, und je nach nationaler Besonderheit und realer Problemlage werden viele andere Kräfte zur konkret historischen Avantgarde werden.

Wir sind aber auch davon überzeugt, daß die notwendigen Veränderungen unausweichlich die Überwindung des kapitalistischen Profitprinzips auf die Tagesordnung setzen werden und zu einem gesellschaftlichen Wandel zwingen, der näher an den Sozialismus heranführt. Auch wenn sich der Hauptinhalt unserer Epoche nicht auf die Überwindung des Kapitalismus beschränkt, bleibt die Überwindung des kapitalistischen Grundwiderspruchs und die Beseitigung all jener objektiven Bedingungen, die Ausbeutung, Entfremdung und Unterdrückung hervorrufen, die konsequenteste Anwort auf die Probleme unserer Zeit. Fernab von allen verkürzten Sozialismusvorstellungen halten wir die Verwirklichung seiner Werte für die radikalste Antwort auf die Fragen unserer Epoche. Dabei gestehen wir ein, daß wir kein Monopol auf diese Ziele haben und die Menschen in unterschiedlichen Parteien oder anderen Organisationsformen nicht nur unverzichtbare Beiträge zur Lösung der globalen Probleme, sondern auch zum Kampf um eine Alternative jenseits des Kapitalismus leisten.

Dennoch ersetzt die breitere Streuung revolutionärer Gedanken nicht die einheitliche Organisation der RevolutionärInnen. Die kommunistische Partei hat keinen Alleinvertretungsanspruch auf verändernde Politik und auch nicht auf die sozialistischen Werte, aber sie macht das zum Hauptinhalt ihrer Politik, was in vielen anderen Parteien und Bewegungen lediglich als Strömung entwickelt ist: Den erklärten Willen zur Überwindung des Kapitalismus, den einheitlichen Bezug auf den Marxismus und die Aufgabe, den Marismus mit der Arbeiterbewegung zu verbinden. (...)

Für die Erneuerung

der kommunistischen

Bewegung

Die DKP hat eine unbestreitbare, historisch notwendige Aufgabe erfüllt, aber ihre taktische und organisierende Rolle hat sich erschöpft. Sie ist nicht das organische Zentrum einer Bewegung, sondern eine zerfallende Partei, deren zentraler Apparat lediglich Ansprüche verwaltet, Belehrungen erteilt und den Bewegungen hinterherläuft. Viele ihrer Mitglieder leisten eine wichtige Arbeit, ohne daß sie der Organisation bedürfen. Der kommunistische Anspruch steht im krassen zu einer ökonomistischen Politik und einer verbürokratisierten, geistig erlahmenden Organisation. Der alles bestimmen wollende Apparat hat schon seit Jahren initiativreiche Kräfte abgestoßen, reproduziert sich aus angepaßter Mittelmäßigkeit und erstickt jegliche Initiative außerhalb seines begrenzten Realitätsbezuges. Unser Land braucht eine kommunistische Bewegung, die ideenreich und dialogfähig in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen die Option des Sozialismus vertritt. Die Partei muß sich als Zentrum dieser Bewegung bewähren und nicht als deren Vormund. In der SPD, bei den Grünen, in den Gewerkschaften und verschiedenen Bewegungen arbeiten Menschen, die ihr Handeln auf eine sozialistische Alternative beziehen und sich der marxistischen Erkenntnismethode bedienen. Die DKP hat sich vielfach von ihnen isoliert, weil sie einen Alleinvertretungsanspruch auf den Marxismus erhoben und die Parteimitgliedschaft zum Gütesiegel revolutionärer Gesinnung erhoben hat. Wir wollen mit all diesen Kräften in eine Diskussion und politische Praxis eintreten, die letztlich auf ein gemeinsames sozialistisches Projekt gerichtet ist. Die Erneuerung der kommunistischen Partei muß sich in der BRD mit einer Erneuerung der Linken verbinden oder die KommunistInnen bleiben eine Sekte.

Anforderungen an eine moderne kommunistische Partei

Wir überlassen es den Scholastikern, sich die Erneuerung einer kommunistischen Partei aus Klassikerzitaten zusammenzuklauben und bekennen offen, daß wir nicht nur die gegenwärtige Form der Partei, sondern auch das schematische Lehrgebäude des katechismushaften Marxismus-Leninismus für keine geeignete Erneuerungsgrundlage halten. Unser Ausgangspunkt für eine moderne Organisations- oder Parteivorstellung ist das reale Leben, sind unsere Erfahrungen und die Methode, mit der Lenin die Organisationsfrage für seine Zeit beantwortete. Wir halten an dem Kerngedanken Lenins fest, daß die Organisation der KommunistInnen in erster Linie dem Ziel verpflichtet ist, die Initiative der Einzelnen zu entwickeln, ihnen einen Rahmen für Lernprozesse zu geben und demokratische Strukturen zu entwickeln, die der Entwicklung eines zentralen gemeinsamen Wollens und Handelns dienen. Die stalinistische Phase der kommunistischen Weltbewegung hat dieses Prinzip auf den Kopf gestellt. Jeder Versuch, dieses umgestülpte Parteimodell zu demokratisieren, ist zum Scheitern verurteilt, solange die bestimmende Seite der Apparat und nicht die Mitglieder sind. (...)

Jede Form der Zentralisierung von oben ist früher oder später zum Scheitern verurteilt, weil sie nicht von den Einzelnen selbst hervorgebracht wird. Wir brauchen eine Phase des Experimentierens, in der jene Organisationsform entsteht, die das Beste aus den Erfahrungen aller fortschrittlichen Organisationen zu einer lebendigen kommunistischen Organisationskultur zusammenträgt.

Harald Werner

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