„Ausgesprochen locker und witzig“

Der oft in die DDR reisende SPD-Genosse Karsten Voigt plaudert aus dem Nähkästchen über den neuen SED-Chef Egon Krenz und seine politische Perspektive  ■ I N T E R V I E W

taz: Sie kennen Egon Krenz seit Anfang der siebziger Jahre. Ist er ein Hardliner?

Karsten Voigt: Egon Krenz kann im Privatgespräch ausgesprochen locker und auch witzig sein. Ich schließe aber nicht aus, daß er zielbewußt und auch machtbewußt ist.

Ist ihm ein Bruch mit den alten überkommenen politischen Strukturen in der DDR zuzutrauen?

Ich glaube nicht, daß die neugewählte Führung der SED und damit auch Egon Krenz einen Bruch will. Er kann die Lage der DDR und die Stimmung der Bevölkerung realistisch einschätzen. Wenn man sich in Erinnerung ruft, daß in den Schubladen von einer großen Zahl von Einrichtungen der SED durchaus Studien zur Reform der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik in der DDR vorliegen, dann ist die eigentliche Frage, ob er diese Reformstudien zumindest ansatzweise in die Praxis umzusetzen versucht.

Wie schätzten Sie das ein?

Ich glaube, daß wir bestimmt jetzt zusätzlich zu den Signalen des Dialogs auch Signale der Reformbereitschaft von der DDR-Führung erleben werden. Ob diese Reformbereitschaft soweit geht, wie das neue Forum, die SDP oder andere Gruppen in der DDR wünschen, ist zu bezweifeln. Man muß einfach auch sehen, daß Egon Krenz ein überzeugter Marxist-Leninist ist.

Ist Krenz eigentlich, wenn ich Ihren Ausführungen folge, eher so ein Tschernenko der DDR, ein Übergangskandidat?

Die beiden Personen sind nicht miteinander vergleichbar. Allein ich habe Gespräche mit Tschernenko geführt und mit Egon Krenz geführt. In der Fähigkeit, politische Situationen zu analysieren und selbständig auch ohne Berater Entscheidungen vorzubereiten und zu treffen, unterscheidet sich Krenz eindeutig von Tschernenko. Deshalb ist ein solcher Vergleich nicht statthaft.

Wie unterscheidet er sich?

Tschernenko war alt, in vielerlei Hinsicht von Beratern abhängig, in mancherlei Hinsicht nicht mehr in der Lage, die Realität der Sowjetunion zu analysieren. In allen drei Punkten: in Bezug auf Alter, in Bezug auf die Fähigkeit zur eigenen Analyse und zur eigenen Entscheidung. Bei der Fähigkeit zur Analyse der Lage in der DDR unterscheidet sich Krenz positiv von Tschernenko. Insofern ist ein Vergleich gar nicht statthaft. Aber, wie gesagt, man muß daran festhalten, und das muß man auch wissen, Egon Krenz ist ein überzeugter Marxist-Leninist. Er ist in den Strukturen des jetzigen Systems und der jetzigen Parteiführung groß geworden. Und ich glaube, er hat nie einen Hehl daraus gemacht, daß für ihn der Sozialismus mit der führenden Rolle der Partei und der Einheitlichkeit der Führung der SED unmittelbar verbunden ist.

Was Sie jetzt ausführen, heißt auch, es wird sozusagen keine Legalisierung des neuen Forums geben, keine Anerkennung der sozialdemokratischen Partei.

Das weiß ich nicht. Die jetzigen Entwicklungen in der DDR sind ein Reflex auf Änderungen in Osteuropa insgesamt und ein Reflex auf innere Prozesse in der DDR. Und keine Politik, die Stabilität in der DDR auf Dauer gewährleisten will, muß mit Reformen verbunden sein. Wie weit die Reformen gehen sollen, wird letztes Endes eine Diskussion sein, zu der die Führung der DDR und damit auch die Führung der SED bislang nicht fähig war. Aber Egon Krenz wird seine eigene Position haben.

Bedeutet Krenz eine entscheidende Deutschlandpolitische Veränderung?

Krenz wird an dem Ausbau der deutsch-deutschen Beziehungen interessiert sein. Manche Belastungen der vergangenen Wochen werden abgebaut. Entscheidend aber ist, ob durch Reformen in der DDR die Ursache zur Flucht beseitigt werden kann.

Ist denn Krenz ein Übergangskandidat?

Ich gehe nicht davon aus, daß er sich so auffaßt. Ich gehe auch nicht davon aus, daß man ihn von außen so wahrnehmen sollte.

Ich meine, ihm wird ja angedichtet, daß er sehr krank ist.

Ich glaube, daß auch Politiker in der Bundesrepublik Deutschland zeitweilig krank gewesen sind und deshalb trotzdem noch über viele Jahre im Amt geblieben sind.

Ist die SPD-Führung eigentlich überrascht, wie viele von uns?

Ich kann nur sagen, daß ich persönlich überhaupt nicht überrascht bin. Und daß ich in den vergangenen Jahren, wenn andere Spekulationen über andere Personen im Vordergrund gestanden haben, und in den letzten Wochen und Monaten haben ja auch viele andere Personen im Vordergrund gestanden, immer der Meinung war, das Egon Krenz der potentielle Nachfolgekandidat ist. Und ich bin auch nicht überrascht über die Entscheidung in diesem Punkt.

Wann haben Sie mit ihm das letzte Mal diskutiert?

Das Datum habe ich gerade nicht im Kopf.

Ungefähr?

Kein Kommentar.

Interview: mtm