piwik no script img

Schönheit - Sehnsucht - Erinnerung

■ Gespräch mit Rainer Iwersen und Nicolas Schalz, Leitern des Hölderlin-Abends der Shakespeare-Company, „Und was du hast, ist Atem zu holen“

taz:Was fasziniert dich an Hölderlin, was berührt dich?

Iwersen: Die Schönheit der Sprache, in der tatsächlich noch das, was Hölderlin „ästhetischen Sinn“ oder „ästhetische Erfahrung“ nennt, Erkenntnis ersetzt: was uns not täte, um Geist und Natur zu versöhnen. Dann die Sehnsucht, ein für Hölderlin ganz wesentliches Moment von Erfahrung überhaupt. Sehnsucht nach

Versöhnung, Sehnsucht nach Zuständen ohne Leiden und ohne Herrschaft, auch im Verhältnis zur Natur. Das ist etwas, woran er dann schier verzweifelt und kaputtgeht. Im Grunde betreibt Hölderlin frühe Aufklärungskritik: auf ihrem Höhepunkt beginnt er, ihre innersten Voraussetzungen zu bezweifeln. Wie ist das überhaupt möglich, ein herrschaftsfreies Verhältnis herzustellen?

Ohne Reflektion - das ist Hölderlin klar und da ist er radikaler als andere - geht es nicht, also auch nicht ohne Erinnerung, ohne Geschichtsbewußtsein. Und am Ende die Fragmente: kein poetisches Scheitern, sondern ein bewußtes Zerschlagen. Da wo Schönheit auftaucht in den Texten, wird sie zerschlagen. In einer von Lüge geprägten Gesellschaft ist es nicht möglich, Schönheit zu produzieren, sie wäre selbst wieder Lüge.

Wie montierst du?

Iwersen: Sehr frech: wie ein großes Puzzle. Ich verwende kaum ganze Gedichte, fast nur Ausschnitte, Bruchstücke. Ich folge den verschiedenen Arbeitsphasen, aber ich durchbreche diese Struktur immer wieder. Schon früh tauchen späte Fragmente auf, die kraß gegen die hymnische Euphorie der Anfangszeit gesetzt werden. Später tauchen, wie Erinnerungen, frühere Textstellen wieder auf.

Kommentierst du?

Iwersen: Nur durch die Montage. Ich hoffe, daß sich die Texte gegenseitig beleuchten, daß die hermetischen Bilder so begreifbar werden - und ich setze auf die Musik, die ja Assoziationsräume öffnet, in denen frei flottierend einiges hin-und herschwimmen kann. Seltsam, ich habe mir das immer schon mit Musik vorgestellt, vor allem mit Beethoven und Schubert. Ich fand bei ihnen eine ähnliche ästhetische Bearbeitung des Materials: Disparatheit, Sperrigkeit, blitzhaft auf

scheinende Partikel von Schönheit, utopische kleine Leuchten.

Schalz: Auch Beethovens späte Streichquartette sind Entwürfe zu einem Riesigen, das unvollendet geblieben ist. Aber trotz der großen Entwurfhaltung ist Beethovens Musik eine organische Musik: da ist Hölderlin viel moderner im Sinne des Fragmentarischen. Damit Beethovens Musik nicht in eine versöhnliche Haltung hineinführt, haben wir ein Sakrileg begangen, wir haben sie zerteilt. Aber wir wollten Hölderlin nicht in seine Epoche einsperren, wir lesen ihn von heute her, schauen zurück auf die Aufklärung, was hat sie uns gebracht, was hat sie uns genommen. Wir wollten deshalb auch Musik von heute. Helmut Lachenmanns Gran Torso: ein Einwurf über das Zerrissene, das Fragmentarische. Oder Rolf Riehms TEMPO STROZZATO, erwürgte oder gewürgte Zeit, eine Musik, in der die revolutionäre Hoffnung, der Aufbruch, aber auch die Enttäuschung spürbar werden. Besonders wichtig ist uns Anton Webern, seine frühen Stücke, die er vor dem Ersten Weltkrieg geschrieben und in denen das Fragmentarische verkürzt ist bis aufs Schweigen. Dieses Verstummen hat Webern auskomponiert. Aber wir haben ja auch ganz bewußt depravierte'grausliche Musik ausgewählt'Märsche, Nationalhymnen, Schlager.

Warum spielt ein Streichquartett?

Iwersen: Das hat damit zu tun, daß

im Streichquartett sowohl Beethoven als auch andere ihre am weitesten vorangetrienExperimente betrieben haben, das ist die Form, die sie wählten, wenn sie auf die Suche gingen, wenn sie Risiken eingingen.

Schalz: Außerdem ist das die ein

zige Form, in der vier gleichberechtigte Partner in Dialog geraten: Eine Erinnerung an Hölderlins Sehnsucht nach herrschaftsfreien Verhältnissen.

Fragen: Christine Spieß

heute 20.30 Uhr und Sa., 19.30 Uhr

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen