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Mengistu steht das Wasser bis zum Hals

Großoffensive der äthiopischen Guerilla im Norden des Landes / Verbände rücken in Richtung Hauptstadt vor / Hauptverbindungsstraße zwischen Addis Abeba und der Hafenstadt Assab bedroht / Staatschef Mengistu Haile Mariam soll bei Anschlag verletzt worden sein  ■  Aus Nairobi Crista Wichterich

„Wenn die Volksbefreiungsfront Tigray die Straße nach Assab erobert, gehen in vier Tagen alle Lichter in Addis aus“, sagte ein bundesdeutscher Diplomat in Addis Abeba kürzlich gegenüber der taz. In der Tat: Die Straße zwischen Addis und dem Hafen Assab am Roten Meer ist die Nabelschnur der äthiopischen Hauptstadt. Jeder Tropfen Petroleum rollt über diese Straße, über die auch 85 Prozent aller Importe transportiert werden. Die EPDRF, ein Zusammenschluß der Volksbefreiungsfront Tigray mit der Demokratischen Bewegung des äthiopischen Volkes, marschiert im Zuge einer Großoffensive auf diese lebenswichtige Versorgungsader zu anscheinend, ohne auf nennenswerten Widerstand der Regierungstruppen zu stoßen.

Seit Ende August ist die EPDRF auf dem Vormarsch in der Provinz Wollo und steht jetzt in der Umgebung der Stadt Dese, 300 Kilometer von Addis entfernt. Am Mittwoch schlugen bewaffnete Verbände der EPDRF hier erneut Einheiten der äthiopischen Armee, die sich daraufhin in die Stadt zurückzogen. Auch in der Nachbarprovinz Gondar rückt die Guerilla vor. Die Chirurgen aus der DDR, die im Krankenhaus der Provinzhauptstadt Ärzte ausbilden sollen, sind voll mit dem Zusammenflicken verwundeter Soldaten beschäftigt.

Die erfolgreiche Großoffensive der EPDRF geht zu einem Gutteil auf das Konto der Demoralisierung der äthiopischen Armee. Die Soldaten sind des Krieges müde, der seit 26 Jahren tobt und der längste in ganz Afrika ist. Nach dem Putschversuch gegen Staatschef Mengistu Haile Mariam vor fünf Monaten nur notdürftig reorganisiert, wirkt die Schlagkraft des Militärs gelähmt. Daß die beiden Befreiungsbewegungen trotz ihrer ideologischen Differenzen ein Zweckbündnis eingegangen sind, stellt das Regime Mengistus offenbar militärisch vor die Überlebensfrage.

Niemand in Äthiopien setzt große Hoffnungen auf die Friedensgespräche zwischen der Regierung und der zweiten Guerilla des Landes, der Eritreischen Volksbefreiungsfront (EPLF), die Mitte November in Nairobi stattfinden sollen. Der ehemalige US-amerikanische Präsident Jimmy Carter hat sich zwar bemüht, die erste Runde in Atlanta als großen Sprung auf dem Weg zum Frieden darzustellen. Doch es wurden lediglich Bedingungen für Verhandlungen sondiert, beispielsweise, in welcher Sprache diese geführt werden sollen. Und die EPDRF hat sich an diesen Gesprächen gar nicht erst beteiligt. Aber auch die Bevölkerung Eritreas scheint nicht bereit, von ihrem Ziel der Unabhängigkeit Abstriche zu machen. Sollte sich die EPLF in diesem Punkt kompromißbereit zeigen, dann „bekommt sie hier Probleme“, wie die verbreitete Meinung in Asmara, der Provinzhauptstadt Eritreas, lautet.

Der gescheiterte Putsch im Mai hatte vorerst die Hoffnung auf einen baldigen Regierungswechsel zerschlagen. Die hingerichteten oder inhaftierten Offiziere galten als einzige Alternative zum marxistischen Regime Mengistus. Zwar wird in Addis geflüstert, daß sich Untergrundgruppen treffen, aber jeder Widerstand ist gefährlich, die Sicherheitskräfte sind allgegenwärtig. Gerüchten zufolge soll Mengistu am vergangenen Samstag bei einem Anschlag angeschossen worden sein. Wie um den Worten hinter vorgehaltener Hand entgegenzuwirken, rief Mengistu am Mittwochabend im Fernsehen zur Mobilmachung gegen die EPDRF auf, die die Einheit des Landes zerschlage. Den Fernsehzuschauern präsentierte sich ein Herrscher, der ein ungewöhnlich schwaches und jämmerliches Bild abgab. Das Wasser scheint ihm bis zum Hals zu stehen.

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