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DA SCHAU HER!

■ Warum ein Film über eine Blinde nicht von einer Gehörlosen rezensiert werden darf

„Ich möchte mal mit demjenigen sprechen, der für den heutigen Artikel Verirrt im Reich der Sinne verantwortlich ist!“ Dieser fordernde, dramatisch-entrüstete Tonfall am Telefon - diesmal aus dem Mund eines Mitarbeiters der Medienoperative - ist der Redaktion nicht unbekannt. Weiter geht es gewöhnlich mit einer Tirade über die völlige und sowieso erwiesene Inkompetenz der SchreiberInnen, die moralische Verpflichtung der taz, positiv zu berichten, „gerade ihr!“, das Zeitungswesen als Dienstleistungsbetrieb am kulturmachenden Kunden sozusagen. Aber diesmal ist der Fall perfider.

Am Freitag hatten wir einen Artikel abgedruckt, in dem, wie schon in der Unterzeile deutlich wurde, unsere gehörlose Mitarbeiterin Gabriele Warnke einen Dokumentarfilm über eine blinde Lehrerin rezensierte, der in der Medienoperative gezeigt werden sollte. Anstatt der üblichen sentimentalen Hilflosigkeiten, die Nichtbehinderten bei solchen Gelegenheiten nur allzu leicht aus der Feder fließen, wurde unsere Rezensentin konkret. Sie ärgerte sich darüber, daß selbst noch bei Filmen über Behinderte ebensolche ausgegrenzt werden, weil die Untertitelung fehlt. Ganz zu schweigen von dem Film selbst, in dem das Kameraauge eines nichtbehinderten Regisseurs das Leben einer Blinden in Klischees zwängt.

Der Film hat also keine Untertitel, denn schließlich will es die traditionelle festgefügte Arzt-Patienten-Hackordnung, daß vermeintlich Gesunde sich mit vermeintlich Kranken beschäftigen und über diese urteilen, und keineswegs umgekehrt. Alles andere wäre Anarchie.

Und jetzt wagt es unsere Rezensentin, sich über diese Gesetzmäßigkeit hinwegzusetzen! Und wenn keine Untertitel da sind, dann beschreibt sie den Film eben ohne Sprachspur. Während der Film das Verhältnis einer Blinden zum Alltag im Allgemeinen darstellen will, zeigt Warnkes Text u.a. das Verhältnis einer Gehörlosen zu einem speziellen Alltagsbereich - dem Fernsehen.

Statement des Behindertenfreundes von der Medienoperative: „Das ist ungeheuerlich. So kann man diesen Dokumentarfilm nicht besprechen - ohne die Sprache einzubeziehen. Ich verlange von euch eine angemessene Rezension! Wenn ihr Pressematerial nur benutzt, um Dinge niederzumachen, dann darf man euch in Zukunft nichts mehr schicken.“ Rumms, aufgelegt.

So ist das also. Filme über Behinderte dürfen nur Nicht -Behinderte begutachten; die Gehörlose soll ihre „Defizite“ für sich behalten und keine behindertenfreundlichen Leser damit belästigen. Wer nicht hört, soll möglichst auch nicht fern-sehen, und vor allem nicht schreiben; lieber Krüppel in der Glotze als davor.

Beschwerden über eine Gehörlose werden ausgerechnet am Telefon geführt...

Die Berlin-Kultur-Redaktion

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