: Start im Kapitalismus - ohne Bonbons
■ Der Senat kürzt die Berliner Sonderhilfen für Übersiedler - um damit andere „riesige Aufgaben“ anzugehen Momper: „Kein Vertreibungsdruck“ mehr für Deutschstämmige in Osteuropa aufgrund der veränderten politischen Lage
„Wir brauchen jede Million für die riesigen Ausgaben, die auf uns zukommen.“ So begründete Sozialsenatorin Ingrid Stahmer die Entscheidung des Senats, bestimmte Berliner Sonderzahlungen für Aus- und Übersiedler zu kürzen. Konkret wurde in einer Klausurtagung am Wochenende beschlossen, Aus und Übersiedlern künftig nicht mehr, wie bisher, 55 Mark pro Tag zusätzlich zu den 250 Mark Starthilfe zu zahlen, die jeder nach seiner Ankunft erhält. Gekürzt wird auch die Umzugsbeihilfe, die bisher in einer Höhe bis zu 850 Mark gewährt wurde. Und kostenloses BVG-Fahren ist für die Neuankömmlinge nur noch einen Monat möglich - bisher waren es drei.
Mit diesen Schritten, so der Regierende Momper, hoffe er, bereits im nächsten Jahr 25 Millionen Mark einsparen zu können. Momper betonte, die Einsparungen durch diese Leistungskürzungen für Aus- und Übersiedler seien notwendig, um an anderer Stelle dringende Projekte zu finanzieren - wie etwa im Wohnungsbau. Allein in diesem Jahr werden insgesamt etwa 40.000 Aus- und Übersiedler nach Berlin kommen. Bis zum Jahr 1993 wird die Berliner Bevölkerung auf insgesamt etwa 2,2 Millionen Menschen anwachsen, so lauten jetzt die Senatsprognosen.
Momper begründete die Entscheidung des Senats auch mit der veränderten politischen Situation in den Ländern Osteuropas. In Polen, der Sowjetunion und Ungarn bestehe mittlerweile für Deutschstämmige kein Vertreibungsdruck mehr. Deswegen will Berlin beim Bundesinnenministerium nun darauf drängen, daß Menschen aus diesen Ländern nicht mehr automatisch der Vertriebenenausweis ausgestellt werde, sondern erst nach Prüfung des Einzelfalls. „Durch das wirtschaftliche Gefälle gegenüber dem Westen ist aber ein enormer Zuwanderungsdruck entstanden, der für Berlin aufgrund seiner besonderen Lage besonders hoch ist“, so Momper. Die Reisen nach Berlin würden noch sprunghaft ansteigen, wenn die DDR die in einem überschaubaren Zeitraum erwartete Reiseerleichterungen gewähre.
„Berlin bleibt eine offene Stadt, es wird keine Mauern und Zäune geben“, beschrieb Momper die politische Zielsetzung des Senats. Er bewertete den Bevölkerungszuwachs grundsätzlich positiv: Er bedeute eine wünschenswerte Verjüngung der Stadt. Gelöst werden könnten die damit verbundenen Probleme nur mit Maßnahmen der Kommunalpolitik und durch Zusammenrücken der Bevölkerung. Momper forderte die Bundesregierung auf, Berlin bei der Bewältigung dieser Kriegsfolgelasten nicht allein zu lassen und die Zuschüsse, zum Beispiel für den Wohnungsbau, zu erhöhen. „Aufgrund der enormen finanziellen Belastungen muß in anderen sozialen Bereichen gespart werden“, so Momper.
Die Ergebnisse der Beratungen in anderen Bereichen, etwa im Wohnungsbau und der Schulpolitik, werden erst heute erwartet. Bis 1993 sollen jetzt 35.000 statt der bisher anvisierten 28.000 Wohnungen gebaut werden, wenn es nach der SPD geht. Mögliche Flächen werden in einem Katalog gesammelt, über den es noch zwischen den Koalitionspartnern und den einzelnen Senatsverwaltungen abzustimmen gilt.
kd
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