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Kleiner Führer der modernen Musik

■ Vor über zwei Jahrzehnten veröffentlichte der Schauspieler und Musikkenner sechs kleine Porträts zu unrecht vergessener Komponisten

Peter Ustinov Gennady Afanasiewitsch Solowschuk

Geboren 1912 in Kremeny Gorsk (Plechanowgrad) nahe Poltawa, Sohn eines Lokomotivführers, der seinem Sohn die Anfangsgründe der Musik beibrachte, indem er ihm etwas auf der Signalpfeife vorblies. Solowschuk trat 1918, im Alter von sechs Jahren, in die KP ein und wurde rasch in den Rang eines Oberstleutnants der Jugend erhoben, als er am Kampf gegen Hetman Petlyuras und Machnos Kinderbrigaden teilnahm. Er hat das Verdienst, der einzige Sowjetkomponist zu sein, der als Scharfschütze über vierzig Aggressoren liquidiert hat.

Zu seinen Werken gehören: Symphonie Nr.1 (Tod der faschistischen Bestie), Nr.2 (Ein Gespräch mit Schdanow), Nr.3 (An die sowjetische Lokomotivindustrie), alle 1942 entstanden und alle nach einer Selbstkritik zurückgezogen. Von der ersten Symphonie sagte der Sowjetkritiker N.P. Zelesnow: „Durch das generelle Fehlen von positivem Optimismus scheint die Faschistische Bestie Solowschuk, bis auf Teile des Rondo eroica, überall eine Niederlage bereitet zu haben.“ Zur zweiten erklärte Schdanow auf dem 19. Kongreß: „Kein Gespräch mit mir hat sich jemals so angehört (Gelächter)...“ Über die dritte schrieb Prof. Asafiew: „Es muß bezweifelt werden, ob es dieser Symphonie, die unseren heroischen Lokomotiven gewidmet ist, auf dem rechten Gleis vorwärts zu kommen gelingt.“ Solowschuk rehabilitierte sich teilweise mit einem scharfen Angriff auf Prokofieff.

Dennoch wurde die vierte Symphonie (Auf Miaskowskys Datscha) trotz ihrer Tonart C-Dur wegen übertriebener Versponnenheit kritisiert, und die fünfte (Über Ossetische Themen) wurde von Prof. Najeebulikow angegriffen, weil sie „nur mit halbem Herzen ossetisch“ sei. Nach einem heftigen Ausfall gegen Gliere stand er wieder in Gunst. Seine 6. Symphonie (Von den Schlachtfeldern bei Borodino), seine 7. (Weiche zurück, Denikin) und seine 8. (Kameraden, Budjonny reitet Galopp) wurden von Prof. Goldenweiser als „frivol, inhaltlos und flach“ und von Prof. Lev Knipper als „formalistisch, modernistisch und schauderhaft“ verurteilt. Er wurde noch einmal zur Union Sowjetischer Komponisten zugelassen, nachdem ihn Krennikow heftig angegriffen hatte. Seine 9., 10., 11., 12., 13. und 14. Symphonie hat er zurückgezogen, bevor er sie geschrieben hatte, aber seine 15., eingerichtet für dreiteiligen Chor und Kinderstimmen, große Bläserbesetzung, Balalaikas, Guslis, Bandinas, Glocken und drei 75-Millimeter-Haubitzen (Hände weg von unserem Sowjetland), erregte ein gewisses Aufsehen, als bei der Uraufführung infolge fehlerhafter Zieleinstellung der Artillerie der Konzertsaal zerstört wurde. Seine neueren Symphonien (16. bis 43.) sind außerhalb der Sowjetunion noch nicht gespielt worden.

Er hat viele volkstümliche Lieder und Chöre geschrieben: Walzer des Sanitätskollektivs Nr. 912; Denkt an Hitlers Hyänen (Walzer); Pioniere der Volksrepublik der Äußeren Mongolei; Der Krieg muß gewonnen werden, Natascha (Mazurka); Dann geh ohne Kuß (Romanze); Wenn du mich liebst, dann spuck auf die Banditen (Romanze); Es ist Winter an der Front, doch in meinem Herzen erwachen die ersten Knospen... (Romanze); Nimm mich mit in einer Kartusche, Waniochka (Romanze); Deine Mutter hat keine Zeit um dich zu weinen, denn sie arbeitet an einem Tank (Romanze). Schrieb auch verschiedene Streichquartette über Themen aus Daghestan und Arrangements für Volkslieder aus Nowaja Semlja.

Im Augenblick Vorsitzender des Rates für Kulturellen Austausch zwischen Nepal und der UdSSR und Professor für Harmonie in Ust-Yug. Ovid Claypole Shuffell

Geboren 1898. Amerikanischer Komponist, gebürtig aus Slagheap Co., Vermont. Studierte Harmonie bei Bertha Breed Bussel in Portland, Maine, und Klavier bei Agnes Stegenheimer Folley in Cape Cod; mußte zu den Unterrichtsstunden oft viele Meilen zu Fuß durch den Schnee gehen. Jetzt ständiger Dirigent der New Hampshire Studentenphilharmoniker und der Great Lakes Operngilde (Amateurensemble).

Werke: Mormonen-Satz, für Orchester (1919); Huckleberry Hornpfeife und Finn Fuge (1920); Hommage an Sousa für Blech (1921); Glaubensbekenntnis für Streicher (1923); Sechs Äußerungen für großes Bläserensemble (1924); Die Seele von St. Louis Symphonie (1925); Gewiß, ich bin Amerikaner, Hymne zur Einweihung eines Girls‘ College (1926); ... Und siehe, sie werden leben, denn da wird kein Tod sein: Trauerchoral für die Toten des Bürgerkrieges (1927); Oper in drei Akten: Rumpelstilzchen (1928, Chicago Op.); Feierliche Weise für Streicher: Oft hast in wollener Freundschaft du, mit stummem Blick... Auf den Tod eines Lieblingsschäferhundes (1929); Symphonische Suite, Struwelpeter im alten Vermont (1930); Große romantische Oper Der ruhende Stier (1932), Metropolitan Opera (Deems Taylor gewidmet); All -Amerikanische Symphonie für symphonische Militärkapelle (Babe Ruth gewidmet, 1934); Drei Schläge auf einen Schanktisch in Hershey, Ouvertüre für Studentenorchester (1935); Holländisches Fest in Pennsylvania, Komische Suite (1936); Variationen über ein altes norwegisches Wiegenlied, seiner Mutter gewidmet (1937); F.D.R., ein musikalisches Porträt (1938); Amerika, verheißungsvolles, liebliches Land, Hymne, Randall Thompson gewidmet (1939); Gesang der Isolierung für Orchester, in Auftrag gegeben von Oberst McCormick (1940); Daß uns die Nacht nicht schlafend überfalle, Kantate zu Worten Maxwell Andersons, dem Veteranenkorps der U.S. Marineinfanterie gewidmet (1943); Kantinenkonzert für Harmonika und Jazzensemble (1944); Symphonie Nr.3, den Helden der Roten Armee gewidmet (1945), 1956 abgeänderte Widmung an die Helden der Ungarischen Revolution; Ballett -Suite: Handschlag der Anerkennung, John Alden Carpenter gewidmet (1945); Essig-Joe, Ouvertüre (1946); I like Ike, Symphonische Rhapsodie (1947); Quadrille für Louisville (1948); Fürwahr, ich lege Zeugnis ab, o Zion, Choral für Orgel, Harfe und Frauenstimmen, Marion Bauer gewidmet (1950); Totemverwicklungen, Komische Ouvertüre über Siouxthemen (1951); Was der wilde Wind erzählte, Suite für Vermonter (1953); Oratorium für Pioniere: Kommt sammelt nun den guten Dung in eure Baumwollschürzen, Töchter meiner Lenden, Howard Hanson gewidmet (1955); Scherzkonzert für vier Elektrorasierer und Orchester, Groucho Marx gewidmet (1956); Raum-Konzert für Violine und Orchester, in Auftrag gegeben von Heifetz, gespielt jedoch von dem Konzertmeister der New Hampshire Studentenphilharmoniker (1957); Bunny Blues, zur Eröffnung des Playboy Key Clubs in Chicago (1958); Till Eulenspiegel in Manhattan, Hommage an Richard Strauß in amerikanischem Idiom (1960); Clambake-Choral für Frauenstimmen mit Versen von Ogden Nash (1961); Präludium und Fusel für Hammond-Orgel, mit Bitte um gütigste Nachsicht an Mr. Johann S. Bach (1962); Streichquartett über die Rhythmen der Rauchsignale der Schwarzfußindianer (1963); In Memoriam Charles Martin Loeffler; Der du auf den stillen Wassern machtest Musik, Olympischer (1964). Fürchtegott Kranck

Geboren in Klein-Schlössing bei Fernhalsenbach (Hessisch -Westfalen), sechzehntes Kind eines Dorfschlächters. Seine neun Brüder und wenigstens eine seiner Schwestern wurden Schlächter wie ihr Vater, der junge Fürchtegott jedoch, ein stets sich zurückziehendes und sogar mystisch veranlagtes Kind, schien zu abstrakteren Formen der Selbstdarstellung zu neigen. Als er im Alter von fünf Jahren bereits die Trigonometrie beherrschte und bald im Jahr darauf ein neunbändiges Werk mit dem Titel „Das Dämonische und Hölderlins spätere Jahre“ schrieb, überzeugte sich schließlich sein Vater, daß sein Sohn nicht geeignet sei, in seine Fußstapfen zu treten. Ursprünglich Mathematiker, fing er an, sich mit Musik zu beschäftigen, um seine Theorien zu veranschaulichen, und studierte bei Krebs in Kassel, Schimpf in Stettin und De Palloszvary in Szeged, die er aber rasch selbst unterrichtete.

Seine größeren Werke schließen ein Antiphonen und Prophonen für neun Orgeln (selten aufgeführt wegen der Schwierigkeit, so viele Orgeln zu gleicher Zeit an einem Ort zur Verfügung zu haben); ebenfalls für Orgel Das kleine Orgelbüchlein, ein Werk, dessen Darbietung etwas über eine Woche dauert und dem ziemlich das gleiche Schicksal zuteil wurde wie seinem anderen großen Werk. Er hat oft versucht, alle Künste auf die verschiedenste Weise zu verbinden: Seine Hörmalereien riefen 1912 Empörung hervor, als das versammelte Publikum sich anhören mußte, wie einige Maler auf ihren Leinwänden herumkratzten und bürsteten, und seine Gefühlsmusik verursachte 1920 sogar einen Skandal, wobei die Sänger Handgreiflichkeiten zu erdulden hatten. Die Polizei räumte den Konzertsaal während des Scherzos.

Nachdem sein Bruder durch einen elektrischen Schlag getötet worden war, als er im Bad einen Radioapparat reparieren wollte, erwachte sein Interesse für elektronische Musik. „Der Schrei“, schrieb er in seiner dünnen, sechzehn Seiten dicken Autobiographie, „erschloß mir, und damit der gesamten Musikwelt, neue Horizonte.“ Obwohl man ihn zu jener Zeit stark kritisierte, weil er nicht versucht hatte, seinen Bruder wiederzubeleben oder wenigstens einen Arzt zu holen, stellte Prof. Unterhauser in seinem bewundernswerten Buch Das Melos und das ewige Warum fest, die Musikgeschichte werde dem Komponisten danken dafür, daß er mutig seinen Weg eingeschlagen habe, den einzigen Weg für einen Mann, der frei von bürgerlich-sentimentalen Einflüssen und ein Diener der Kultur seiner Zeit sei. Die Kontroverse nahm solches Ausmaß an, daß er schließlich Deutschland verließ und behauptete, verfolgt zu werden; er wurde so zum ersten Flüchtling vor den Nazis aus Künstlerkreisen.

In den Vereinigten Staaten lebte er durch eine Beihilfe der Hoover Corporation und widmete sich intensiver Forschungsarbeit über den Wert des Staubsaugers als Orchesterinstrument (Eine große Kammermusik für Staubsauger, 1952). Er ist jetzt Leiter des elektronischen Studios des Senders Freies Düsseldorf und hat mitgewirkt, daß in Westeuropa trotz eines versuchten Vetos der französischen Komponisten, die einen zweischarigen Pflug französischen Fabrikats eingeführt haben wollten, als Standardmodell der dreischarige Pflug von den westeuropäischen Musikern angenommen wurde. Die geplante vierscharige Variante Englands wurde als „verschwenderisch, sicher und im wesentlichen tonal“ abgelehnt. Maurice Michelot

Geboren 1900 in Clochery-sur-Gleize (Orne et Misere). Sohn des Hittitologisten Ambroise Michelot und der Dichterin Honorine de Fabre-Crepy, die besser bekannt ist unter ihrem Pseudonym Robert Gaullois. Sein Onkel, der Maler Alberic Fabre-Crepy, geläufiger unter dem Namen Gonzague Lope de Aragon, war häufig zu Besuch in seinem Haus (1949 erzielte dessen Bild Vieux Moulin a Chlochery-sur-Gleize auf einer Auktion von Sotheby 7.500 Pfund); öfter besuchten ihn auch der Bildhauer Prosper L'hoeuf (Maternite en Dueil, Straßburg) und der Architekt Le Chataigner, der die Ansicht verfocht, die Häuser müßten leer sein, und die Möbel sollten auf die umliegenden Wiesen gestellt werden (Pour Une Esthetique Champetre, Paris, 1911). In dieser hochgradig artistischen Atmosphäre nahm der junge Maurice Michelot Zuflucht zur Musik, was wesentlich noch begünstigt wurde durch die Tatsache, daß seine Eltern Kinder haßten und ihn soviel wie möglich unbeachtet ließen. Er studierte Orgel bei Ermend-Bonnal, wodurch sich eine heftige Abneigung gegen dieses Instrument in ihm entwickelte, was auf seine Kompositionen abfärbte. Theorie studierte er bei Gedalge, die er unter ihm aber zu verabscheuen begann. Er wandte sich später dem Klavier zu, das er bei Alken studierte, und schrieb an einen Freund, den Romanautoren Bruno Vitteloni: „Le piano est vraiment infecte, mai, en fin de comptes, le clavecin est pire. Outre le silence, il n'y a pas de son tolerable dans ce monde...„

Die Verleihung des Prix de Rome an ihn wurde abgelehnt, was ihn zum ersten Male von dem Vorhandensein seines Talentes überzeugte. An seinen Freund, den Keramiker Van Kongshoevel, schrieb er: “... j'etais tellement convaincu de ma victoire, que je pensais deja au suicide - pas a la mort, ce n'est pas mon genre - mais a l'abandon de la musique pour un emploi vraiment constructif et createur, comme... la bourse.“ Am bekanntesten von seinen Werken sind: Vents et Contrevents für Soloflöte; Apoplexien für hohe Stimme und Klavier; das Ballett Tournedos Rossini über Themen von Benjamin Britten; die Suite Boules de Savon, in Deutschland bekannt als Seifenblasen; Tanagrerien für sechs Bläser; die Kantate Grossesses für acht Soprane, von Boosey und Hawkes veröffentlicht unter dem englischen Titel Pregnancies (Schwangerschaften); der Liederzyklus L'Abattoir des Pensees; Sans Paroles für Chor und Harfe; Trois Complaintes de Berger qui a perdu des Moutons sous la Pluie; Sappho a Elle-Meme dans le Miroir des Temps; ein Streichquartett für drei Streicher (einer spielt nicht), das fast zwei Stunden dauert; Mufleries für sieben Posaunen; außerdem Musik zu vielen Filmen, unter ihnen Assez de Fric pour le Mec, Les Mots ne chantent pas du Bel Canto etc.

Er schrieb einmal „Il n'y a pas une seule oeuvre d'art au monde que ne soit pas trop lourde. La legerete, c'est moi...„ Pantaleimon Apollonowitsch Dristowsky

Geboren 1847 (alte Zeitrechnung) in Trifunowska, Goubernia Tula, als Sohn eines Distriktsteuereinnehmers, der dem verarmten Adel angehörte, und einer von mehreren seiner leibeigenen Frauen. Er studierte Mineralogie bei Krumpf, bis eine glückliche Wende des Schicksal seiner Familie ihn zwang, eine Stellung als Hauptbevollmächtigter Hilfspostportier im Ministerium für Post- und Nachrichtenwesen anzunehmen. Dort lernte er Natalia Lwowna von Eisengeist kennen, mit der ihn ein platonisches Verhältnis für den Rest seines Lebens verbinden sollte.

1884 schrieb er seine Soupir Melancolique für Violine und Orchester; orchestriert von Conus, Violinpart überarbeitet von Auer. Catoire rühmte das Werk als die beste Komposition seit Joachim Raffs Symphonie Vaudoise. 1888 hatte Dristowsky Streit mit Tanjew und komponierte eine Triplefuge über ein Pecheng-Thema für Blasinstrumente, die Rimsky-Korssakow orchestrierte. 1894 lernte er Vera Galaktionowa von Blechkugel kennen, mit der ihn ein platonisches Verhältnis für den Rest seines Lebens verband. 1897 komponierte Dritowsky seine Klaviersuite Ostereier, das Arrangement für Piano schrieb Cui. 1899 hatte er eine Auseinandersetzung mit Kalinnikow. 1904 entwarf er seine Symphonie (Die Wolhynische). 1905 nahm er an Kundgebungen gegen die Beendigung der Feindseligkeiten mit Japan teil. 1908 schrieb er seine Souvenirs Sentimentales für Klavier, die von Rebikow überarbeitet wurden, und hatte Streit mit Liadow. 1910 entwarf er seine Symphonie Nr.2 (Hommage an Aiwazowsky). 1912 schrieb er einen neuen Entwurf für seine erste Symphonie (Die Wolhynische).

1917 nahm er teil an Kundgebungen gegen Sturmer, für Rodzianko, gegen Tseterelli, für Rasputin. 1918 schloß er sich den Bolschewisten an. 1922 war er einer der wenigen, der sich eines platonischen Verhältnisses mit Alexandra Kollontai erfreute. 1925 entwarf er seine Symphonie Nr.3 (Ruhm den Bezbojniki). 1927 skizzierte er seine Symphonie Nr.4 (Zu Ehren der Getreideproduktion). 1928 hatte er Auseinandersetzungen mit Steinberg und Knipper. 1934 schrieb er einen Artikel, der von Vsewolod Iwanow umgeschrieben wurde, in dem er Gretschaninow angriff. 1938 hatte er Streit mit Rewutzky und entwarf er seine Oper Plechanow in Montreux. 1941 nahm er an Kundgebungen gegen die Deutschen teil. 1942 wurde er in Kiew gefangengenommen und nahm danach teil an Kundgebungen gegen die Russen. 1944 entwarf er in Bad Nauheim seine große patriotische Oper Der Verrat Denikins.

1945 wurde er von den Amerikanern befreit und ließ sich in Fort Worth nieder, wo er von einem Stipendium der Koussewitzky Foundation lebte. 1947 hatte er Streit mit Louis Gruenberg. 1948 stritt er sich mit Vernon Duke. 1949 entwarf er seine Symphonie Nr.5 (Aus den Alleghanies), die später von Morton Gould orchestriert und mit Melodien von Robert Russel Bennett und Elie Siegmeister vollendet wurde. 1955 hatte er Streit mit Lopatnikoff. 1959 bekam er einen Schlaganfall, als er in Louisville Nabokovs Der heilige Teufel hörte, und verschied geräuschvoll auf der Toilette, mit dem beim Buchstaben N aufgeschlagenen Telefonbuch auf seinen Knien. Sein zu frühes Ableben brachte die Musikwelt um eine ihrer delikatesten Auseinandersetzungen. Tristram Oade

Geboren 1915 in Lokeham-Tenens nahe Gr. Lokeham. Sohn eines Geistlichen, dessen Leidenschaft Musik, und einer Musikerin, deren Leidenschaft Religion war. Er wuchs in der Stille des Pfarrhauses auf und war ein scheuer, zurückgezogener Junge, der nur sehr selten Schläge bekam, wenn er etwas wirklich Unverzeihliches tat, zum Beispiel die Zehn Gebote in der falschen Reihenfolge hersagte. Er erinnert sich an seinen frühen Kummer mit enormer Gefühlswallung und glaubt, daß es zweifellos diese frühen Prügelstrafen von der Hand seiner geliebten Mutter waren, die den außerordentlichen Sinn für Rhythmus in ihm ausbildeten. Über die Knie seiner Mutter gelegt, ist er in die Musik Elgars, Stanfords und Parrys eingeführt worden. Weil er wegen des feuchten Klimas von Lokeham-Tenens ununterbrochen an Polypen litt, wählte er die Oboe zu seinem Instrument und bereicherte ihr Repertoire ungeheuer.

Von seinem fünften bis zu seinem fünfzehnten Lebensjahr mußte er mit einer schlimmen Erkältung das Bett hüten, wodurch er viel Zeit für seine Kompositionen hatte, deren Reihe mit den wundervollen Diversionen über ein Thema von Sterndale-Bennett für Bläser begann. Es folgten seine frühen Liederzyklen Links, Rechts, Links mit Worten von Auden; Klaget und schweiget unter Verwendung von Inschriften, die er auf Grabsteinen in Lokeham-Tenens fand; Gehet nicht fort und lasset Eur Herzlieb nicht allein mit Worten, die Lady Nairn zugeschrieben werden. Außerdem fällt in diese Zeit sein erstes Abenteuer auf dem Gebiet der Oper, das Werk Piers Gaveston, das die Aufmerksamkeit von Philip Hope-Wallace erregte. Seine klare musikalische Sprache gewann rasch an Tiefe und hatte schon das Timbre, das undefinierbar englisch war, „eine ziellose und neblige Geistigkeit, rätselhaft und inspirierend wie das Lächeln eines Kuraten“ - so sagte es der rumänische Kritiker Ganymed Todolescu (Musikalische Temporanea Anglosaxonescu, Bukarest, 1935).

Bald schloß er sich Cyril Scott und Percy Grainger an, den einzigen englischen Komponisten, die, wenn auch wenig gespielt, auf dem europäischen Kontinent weitbekannt waren. Ein oder zwei deutsche Kritiker legten dar, daß Grainger Österreicher sei, was jedoch die Geo-Musikologie betreffe, zum „englischen musikalischen Sprachgebiet“ gehöre. Oade schrieb aus überreicher Schaffenskraft verschiedene Werke großen Umfangs, unter ihnen seine Symphonie Ein Mikrokosmos Londons, nach Thomas Rowlandson für das Festival of Britain; seine Oper Burke und Hare für das Edinburgh Festival; seine Oper Breughels Lehrling für das Holland Festival; seine Oper Venus im Pelz (seiner Mutter gewidmet) für die Salzburger Festspiele; seine Kantate Gebt dem Kaiser zur Fünfhundertjahrfeier der Nationalen Provinzbank; seine Oper Der Sturm, mit dem geistreichen Einfall, den Part der Viola von einem Kontrabaß und den des Prospero von drei Knabenstimmen singen zu lassen; und schließlich eine stattliche Reihe von Chorwerken, zum Beispiel die Krönungsode Beschwerlich lastet auf dem Haupt.

Oade wohnt in einem kieloben aufgebockten Rettungsboot in Dirge Magna, das jetzt durch ungefähr sechs Meilen ungesunden Marschlandes vom Meer getrennt ist. In seltenen Augenblicken kann man ihn dort, wo er allein mit seinem Cembalo lebt, knöcheltief im stehenden Wasser sehen: eine ungewöhnliche, schwer zu verstehende, anziehende Persönlichkeit, so englisch wie der schwelende Himmel und der treibende Regen, den er liebt.

Übersetzung: Joachim Uhlmann

Der Text ist in deutscher Sprache zuerst 1968 in der Friedenauer Presse erschienen. Die Rechte liegen bei Felix Bloch, Erben, Berlin, denen wir für die Abdruckgenehmigung danken.

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