piwik no script img

Andreas vor Andreas

■ Aguilar an den Ringen knapp besser als Wecker (DDR)

Aguilar - ein würdiger Weltmeister? Es gab Pfiffe, als der Turner aus Hannover das Siegerpodest erklimmt. Pfiffe von denen, die während der gesamten WM jubelten und mit Fähnchen winkten. Anhänger der DDR-Riegen wollten nach dem Finale an den Ringen den ihren, Andreas Wecker, als Sieger sehen. Die Richtigkeit der Note wurde in Frage gezogen.

Es turnte ja an diesem Gerät keiner fehlerfrei, auch Andreas Wecker zeigte Stützschwächen und wackelte. Der bundesdeutsche Andreas als letzter Turner am Gerät konnte seinen Handstand nicht durchdrücken. Dennoch erhielt er die Tageshöchstnote und war erster. Nur wenige hatten gemerkt, daß sich nach den neuen Wertungsvorschriften (Code de Pointage) Aguilar durch höchste Schwierigkeiten auszeichnete, und die Kampfrichter deshalb die Bewertung für korrekt hielten.

Weckers Schwächen aber waren versteckter, Aguilars Fehler jedoch deutlich zu sehen. Wo Aguilars Gold in Frage gestellt wird, antwortete der 27jährige ehrlich, das Ganze nicht beurteilen zu können („Ich habe die anderen nicht gesehen“) und gar nicht mit dem Titel gerechnet zu haben. Keine Überheblichkeit, auch kein Verstecken hinter dem tatsächlichen Erfolg: Aguilar mußte mit Freudentränen kämpfen.

Der Deutsche Turnerbund nennt es „Rettung“, so schlecht war das Image der bundesdeutschen Turner, die in den Medien aufgrund ausbleibender Erfolge immer mehr ignoriert wurden. Lieber quälten die TV-Anstalten ihre Zuschauer mit „langweiligen Fußballspielen“ (ZDF v. 14.10.), als über Turnen und Aguilar zu berichten, der immerhin schon zweimal Bronzemedaillen bei Europameisterschaften „er-ringen“ konnte.

Aguilars Goldmedaille ist der Aufschwung für die Kellerturner schlechthin. Außerdem hatte es in Stuttgart den „richtigen“ getroffen: Kaum ein anderer Teamgefährte hätte die Reife und Persönlichkeit eines Weltmeisters zeigen können. Der beste Mehrkampfturner, Mike Beckmann, wurde von der Regenbogenpresse schon nach den Pflichtdurchgängen als „Straßenschläger“ abgestempelt, der gar nicht erst hatte turnen sollen.

Aguilar sprang nun aus dem Schatten des inzwischen 37jährigen Turnwarts Eberhard Gienger, der bis Samstag mittag als der „letzte gute Kunstturner“ galt. 1974 war Gienger Reckweltmeister. Jetzt ist Aguilar die Nummer eins, er amtiert bis Mitte September 1991.

T.S.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen