: Angst vor deutscher Dummheit
■ S T A N D B I L D
(Deutsche: Günter Gaus im Gespräch mit Erich Kuby, So., 22. Oktober, 23 Uhr, ARD) Günter Gaus, Ex-'Spiegel'-Redakteur, Ex-Staatssekretär und Verhandlungsführer der Bundesregierung in Sachen Grundlagenvertrag mit der DDR, erster „Ständiger Vertreter“ in Ost-Berlin und schließlich Publizist, saß Erich Kuby gegenüber, dem seit vierzig Jahren „maßgebenden kritischen Intellektuellen in der Bundesrepublik“, ehemaligem Mitarbeiter von 'Stern‘, 'Spiegel‘ und 'Süddeutscher Zeitung‘, Rundfunkkommentator und taz-Autor, dessen jüngstes Buch den programmatisch-biographischen Titel Mein ärgerliches Vaterland trägt - und doch blieb das Gespräch mit dem „Deutschen Kuby“ farblos, langweilig.
Die beiden mehr oder weniger alten „zornigen Männer“ wissen ihre Heimat unter jenen „fünf Prozent“ der Deutschen, die stets in Opposition zur Mehrheit des Volkes standen. Diese Standortbestimmung hat sich für Kuby seit den Tagen des Zweiten Weltkrieges nicht geändert, da er als Soldat der deutschen Wehrmacht die unausweichliche Bekanntschaft ganzer Kohorten von „hundsdummen“ Kameraden machte, die den Grundstock der restlichen 95 Prozent deutscher Staatsbürger bilden.
Die frühe - antithetische - Prägung durch den deutschnationalen Vater, in dessen Obstgarten zuweilen auch der General Ludendorff herumspazierte, läßt Erich Kuby noch mit fast 80 Jahren hoffen, daß Deutschland geteilt bleibe, am besten gleich mehrfach: aus „Angst vor deutscher Dummheit“. Immer noch hält er die Amerikaner für die „gefährlichste Nation der Welt“ (also nicht die Deutschen?) und setzt gegen das „kapitalistisch-freiheitliche System“ einen Sozialismus, dessen Programm er natürlich nicht aus dem Ärmel schütteln könne. Entgegen seiner Ankündigung vergaß Günter Gaus, der sonst wie ein freundlicher Staatsanwalt nachzuhaken versteht, die tiefer schürfende und naheliegende Frage, die durch die Entwicklungen in Osteuropa unabweisbar geworden ist: welcher denn, wenn nicht der existierende?
Kuby hat sich festgelegt, und das macht seinen Charme aus. Er ist ein Kritiker des Westens, der sich offensichtlich auch durch die historischen Ereignisse in der Sowjetunion, in Ungarn, Polen und der DDR nicht beirren läßt. Die Perspektive „deutscher Einheit“ hält er für „pure politische Tendenz“, also Ideologie und deutsches Wunschdenken.
Günter Gaus, dessen Qualität gerade darin besteht, dem Medium Fernsehen spröde Nachdenklichkeit entgegenzusetzen, hätte dem ewigen „Außenseiter“ Kuby ein paar „unfreundlichere“ Fragen stellen müssen.
Reinhard Mohr
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