: Gegen den Strom-betr.: "Streicheleinheiten", taz vom 17.10.89
betr.: „Streicheleinheiten“, taz vom 17.10.89
Nach Eurem unverkennbaren Selbstlob über die DDR -Berichterstattung und der Hervorhebung der „Streicheleinheiten“ seitens 'Le Monde‘ und 'Der Zeit‘ möchte ich nun wie viele andere taz-LeserInnen gegen den Strom schwimmen und endlich meine Kritik und Unzufriedenheit aufs Papier bringen.
Ich stehe nicht auf der Linie der 'Zeit‘, außerdem habe ich eine differenzierte Meinung über die DDR und empfinde Eure Berichte als „Frontberichterstattung“. Wenn Ihr heute (18.10) über drei Seiten, groß aufgemacht auf den ersten Seiten, bei insgesamt nur 15 Seiten, über die DDR schreibt, macht die DDR-Berichterstattung über ein Fünftel der taz aus.
Andere wichtige Nachrichten haben dann nicht mehr den gebührenden Platz in der taz. Mir ist das zuviel und viel zu ausführlich. Mich interessiert mehr Kritisches über unseren Staat und unser System, worüber ich in letzter Zeit bei Euch auf den ersten Seiten immer weniger lese. Unsere Zustände sind doch nicht so viel besser geworden und in die der DDR nicht gleichzeitig soviel schlechter. Die Legalisierung von Großdemonstrationen in der DDR spricht eher für das Gegenteil.
Ebenso ärgert mich, wenn ein gestandener Sozialdemokrat wie der nordrhein-westfälische Sozialminister Heinemann über die einseitige Privilegierung (exklusive Wohn- und Arbeitsangebote) der ÜbersiedlerInnen Kritik anmeldet und Ihr meint, das wäre keine Nachricht wert, und bringt das unter der Rubrik „Was fehlt?“ nur verkürzt und polemisch. (...) Außerdem hättet Ihr vor der DDR -Berichterstattungseuphorie die Nachricht vom 9.10. „200.000 gegen Rassismus - Demo gegen Rassismus aller Spielarten in Rom...“ besser auf den vorderen Seiten plaziert. (...) Auch daß einige tausend Leute in Zürich gegen Wohnungsnot demonstriert haben, ist Euch nur noch eine kleine Meldung wert. (...)
Übrigens fahre ich fast jedes Jahr in die DDR und sehe dort vieles, das sich ändern müßte (zum Beispiel Umweltverschmutzung, Bürokratismus); doch unser System ist doch alles andere als vorbildhaft. Wir - und Ihr auch sollten uns darauf konzentrieren, für eine sozialökologische Veränderung in Ost und West einzusetzen. (...)
Piet Bauer, München 50
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