Adamec würdigt Prager Frühling

■ Der tschechoslowakische Ministerpräsident sieht „positive Elemente“ in Dubceks Reformprogramm / Eine Neubewertung der Ereignisse von 1968 ist nicht mehr ausgeschlossen

Prag (afp) - Der tschechoslowakische Ministerpräsident Ladislav Adamec hat erstmals seit der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ im August 1968 zugegeben, daß das Reformprogramm des damaligen Parteichefs Alexander Dubcek „eine ganze Reihe von positiven Elementen“ enthalten habe, die jedoch „unter den Bedingungen von 1968 nicht realisiert werden konnten“. Zum Prager Frühling ließ Adamec sogar die Möglichkeit einer Neubewertung der Ereignisse von 1968 in der Tschechoslowakei durchblicken, vorausgesetzt daß es zu keinen „Bartholomäus-Nächten“ (blutige Abrechnung) komme.

„Das Aktionsprogramm hatte eine ganze Reihe von positiven Elementen... Ich verleumde Dubcek und die anderen nicht. Ich habe in der Zeit, wo er an der Parteispitze war, mit ihm zusammengearbeitet. Sie hatten einfach keine Kraft, die Probleme zu bewältigen. Leider waren sie überfordert“, erklärte Adamec.

Mit ungewöhnlicher Offenheit nahm der tschechoslowakische Ministerpräsident auch zu den Ereignissen der letzten Monate in Osteuropa Stellung. Zur DDR meinte Adamec, daß er persönlich glaube, daß „Spitzenfunktionen nach einiger Zeit neubesetzt werden sollen“ und daß „dies in der DDR schon früher hätte geschehen müssen“. „In der DDR muß es jetzt zu einer gewissen Lockerung kommen“, betonte er, denn eine langfristige Stabilität, die auf absolutem Gehorsam basiere, sei nicht gut.

Zur Entwicklung in der UdSSR betonte er, daß er zu jenen zähle, die glauben, daß es in der Sowjetunion „keine andere Wahl als die Perestroika“ gebe. „Wenn es in der Sowjetunion Erfolg gibt, dann wird es auch für uns Erfolg geben. Kommt es dort aber zu Mißerfolg, dann hat das auch seine Rückwirkung auf uns hier.“ Was Ungarn betrifft, so sollen die Ungarn „meinetwegen soviele Parteien haben, wie sie wollen“. Er gab zu, daß auch die tschechoslowakische Partei Fehler gemacht hat, dies aber kein Grund sei, deshalb eine ganze Partei zu liquidieren. Auf Polen angesprochen, beklagte er, daß dort zuviel gestreikt würde. „Keine Autos, keine Straßenbahnen, die Läden geschlossen. Alles steht still. Soll das ein Vorbild für die CSSR sein?“

über die Dissidenten in der CSSR meinte Ladislav Adamec, daß Jiri Hajek, 1968 CSSR-Außenminister, und der Schriftsteller Vaclav Havel, „für uns Nullen sind“. „Ich habe nichts gegen Herrn Havel, er ist ein Schriftsteller und soll leben, wie er kann. Aber wenn er Flugblätter gegen die Regierung und die Partei publiziert, damit bin ich nicht einverstanden.“