: Erstschlag gegen Spot-Barbarei
■ Urteil gegen Filmzerstückelung erweckt Hoffnung in Italien / Flut von Klagen gegen Privatsender angekündigt
„Werbespots in einem Film seien eine Aggression, eine Barbarei, ein Verbrechen, eine Beleidigung.“ Solchermaßen schimpfte Federico Fellini über die Praxis des italienischen Privatfernsehens, Spielfilme mit Werbeunterbrechungen regelrecht zu zerhacken, Spannungsbögen zu unterbrechen, Erzähltempi zu zerstören. Kein Kraut schien dagegen gewachsen zu sein. Wer auch immer vor Gericht ging, kam mit einer Niederlage zurück. Rechtlich, hieß es, sei hier nichts zu machen.
Das hat sich nun geändert. Das römische Appellationsgericht hat jetzt ein Urteil gefällt, das man revolutionär nennen darf: „Jegliche Werbeunterbrechung“, befand es, „bedeutet eine Veränderung der Identität des Werkes.“ Folglich seien die Rechte des Autors verletzt. Damit gingen die Richter weiter, als selbst Optimisten erwartet oder erhofft hatten. Weiter auch als die EG-Richtlinie, die immerhin alle 45 Minuten eine Unterbrechung gestattet. Der Sieger des italienischen Rechtsstreits ist ein Sohn des verstorbenen Regisseurs Pietro Germi, der in der Ära des Neorealismus seine großen Filme drehte (Scheidung auf Italienisch). Seinen Film Serafino hatte ein Programm des Medienkönigs Berlusconi wie üblich gespickt mit Spots gesendet. Den Sohn ergriff angesichts der Zerstückelung des väterlichen Werks ein solches Grausen, daß er Anzeige erstattete. Zunächst hatte er damit kein Glück, die erste Instanz wies ihn ab. Erst vor dem römischen Berufungsgericht kam es zu dem aufsehenerregenden Spruch.
„Am Ende, ganz am Ende gibt es in dieser Welt doch ein ein bißchen Gerechtigkeit“, seufzte nun Fellini erleichtert. Zur Euphorie gibt es für Italiens Filmleute indessen noch keinen Grund. Zunächst nämlich muß abgewartet werden, ob auch die dritte Instanz, das Kassationsgericht, dem Urteil folgen wird. Denn Berlusconi hat selbstverständlich Berufung angekündigt. Zum zweiten bezieht sich das Urteil nur auf den beanstandeten Germi-Film. Ob es andere Richter als Präzedenzfall werten und gleiches Recht sprechen, weiß niemand. Das allerdings soll nun schnell herausgefunden werden. Der Regisseur Ettore Scola (La famiglia), der im Schattenkabinett der oppositionellen kommunistischen Partei das Amt des Kulturministers bekleidet, hat eine „Flut von Klagen“ angekündigt. Ein Anwaltsbüro sei dabei, die privaten Stationen mit Anzeigen zu überschwemmen.
Wolfgang Prosinger
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