piwik no script img

Der Kampf um die Wahlbürger von Rom

Der Urnengang zum Stadtparlament am Sonntag zwischen Trauerspiel und Satire / Es geht um viel - doch keiner weiß genau, um was / Wettbewerb der Versager und Hinterbänkler / Der päpstliche Statthalter kritisierte Christdemokraten  ■  Aus Rom Werner Raith

Ein Spitzenkandidat der Christdemokraten, Enrico Garaci, der sich, obgleich Rektor der Universität, als „Signor Nessuno“, Herr Niemand, vermarkten läßt: “'Niemand‘ verdient dein Vertrauen“. Ein Listenführer der Kommunisten, von dem die Wähler nach Befürchtung der eigenen Manager nur den verzwickt auszusprechenden Namen - Reichlin - behalten werden und stattdessen eher „Kartoffeln“ auf ihre Zettel schreiben. Ein vornehmer sozialistischer Bürgermeisterkandidat namens Franco Carraro, dem selbst enge Vertrauten nachsagen, daß ihn Parteichef Craxi jeden Morgen mit dem Spruch „Denk daran, daß Du Sozialist bist“ aufwecke

-so präsentiert sich der Kampf um Roms Stadtrat im Kapitol.

In vorderster Linie die Großparteien, die sich in den vergangenen Jahrezehnten an Mißwirtschaft überboten hatten: Christdemokraten, die der Metropole bis in die siebziger Jahre hinein die Bauspekulation und den uferlosen Wildwuchs beschert haben, Kommunisten, die danach zwar einen respektablen „Römischen Sommer“ gegen die Ausblutung der Stadt in der Ferienzeit organisierten, aber der Wohnungsnot, dem zerstörerischen Verkehr und der einklammernden Industrie der Peripherie auch nicht Herr wurden. Sozialisten, die seit zwei Jahrzehnten in allen Koalitionen saßen und zentrale Ressorts besetzten, aber dort ebenso versagten wie die jeweiligen Seniorpartner DC oder PCI. Daß Rom jetzt zur Urne muß - und nicht, wie die meisten anderen Städte im Frühjahr

-hat zwei Auslöser und ein Dutzend Gründe. Erster Auslöser war die Anklageerhebung wegen Amtsmißbrauchs und Vorteilsnahme gegen den christdemokratischen Bürgermeister Pietro Giubilo, der 1987 von der päpstlichen Leienorganisation „Comunione e liberazione“ ins Amt gepuscht worden war. Zweiter Auslöser war die Umbildung der italienischen Regierung im Sommer 1989, bei der der neue Ministerpräsident Andreotti die Sozialisten nur durch das Versprechen einbinden konnte, er werde ihnen den lukrativen Posten eines Bürgermeisters von Rom zuschanzen. Das aber ging nicht.

Also mußten Neuwahlen her, in denen Andreotti faktisch nur noch seine Anhänger nominieren ließ, allen voran den völlig unbekannten und von der Presse sofort als „Herr Niemand“ apostrophierten - und daher nach der Wahl problemlos abschiebbaren - Professor Enrico Garaci. Am besten von allen „Neuen“ liegen die nach langen internen Querelen zu einer einheitlichen Liste gelangten Grünen im Rennen, mit dem Amtsrichter Gianfranco Amendola. Als „ersten Beitrag zur Nichtverschmutzung der Stadt“ haben die Grünen auf jedwelche Plakate und Flugblätter verzichtet.

Für den Normalwähler, sofern nicht an eine der alten Großparteien gebunden, ist der Wahlzettel - nahezu einen Meter lang - mit seinen mehr als zwei Dutzend Listen ohnehin ein Rätsel.

Angesichts der Fülle von skurrilen Listen und KandidatInnen konnten sich Karikaturisten und Spottliedverfasser am Ende nicht mehr zurückhalten und haben am vergangenes Wochenende eine einmalig erscheinende Zeitung mit dem Titel „Aglio, oglio e Campidoglio“ herausgebracht. Der Titel „Knoblauch, Öl und Kapitol“ spielt dabei auf die seitens christdemokratischer Stadtratskandidaten wieder eingerissene Mode an, potentiellen Wählern wie in den fünfziger Jahren Spaghettipackungen und -saucen zu schenken. Titelbild: das Kapitol und davor ein riesiger rauchender Scheißhaufen. Unterschrift: „Diesmal hat der Kardinal aber wirklich Groß gemacht.“ Bezug: seit Monaten hatte der päpstliche Statthalter in Rom, Generalvikar Kardinal Polletti, wir sind ja in Rom, in die römische Stadtpolitik eingegriffen, jedoch nicht wie sonst zugunsten der Christdemokraten, sondern als deren Kritiker - korrupt seien sie alle, unfähig, die Stadt verkommen, verseucht. Doch nun, Tage vor der Wahl, empfahl er doch wieder die Stimmabgabe für die Christdemokraten „wenn auch mit Widerwillen und zugehaltener Nase“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen