: Vom Stasi-Regen in die BND-Traufe
Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst (BND) erfassen und speichern Daten von Aus- und Übersiedlern / Zentrale Datei „Ados“ ohne Rechtsgrundlage eingerichtet / BND betreibt „Zweigstelle für Befragungswesen“ in Gießen ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Frankfurt/Wiesbaden (taz) - Der direkt dem Kanzleramt unterstellte Bundesnachrichtendienst (BND) zeichnet für die Einrichtung eines „Büros“ verantwortlich, dessen Name durchaus mit den Wortschöpfungen aus der anderen Republik konkurrieren kann: die „Zweigstelle für Befragungswesen“ des BND im hessischen Gießen. Im Auftrag des Geheimdienstes verfolgt die Behörde die Reisewege von Aus- und Übersiedlern aus den Ostblockstaaten, um die Flüchtlinge dann in ihren neuen Heimatorten mit einer Aufforderung besonderer Art zu konfrontieren: Ausgewählte Aus- und Übersiedler sollen „im Gespräch“ mit den Mitarbeitern der „Zweigstelle für Befragungswesen“ Auskunft über ihr Privat- und Berufsleben in ihren Herkunftsländern geben. Auf Antrag ist das „obskure Amt“ (die Grünen) auch bereit, etwa anfallende Hotelkosten zu übernehmen. Nach Informationen der taz werden die so gewonnenen Hintergrundinformationen dann vom BND gespeichert.
Ihre Informationen über die neuen Adressen der Aus- und Übersiedler erhalten die Männer und Frauen vom „Befragungswesen“ von den Landesämtern für Verfassungsschutz und vom Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln. Dort werden in der zentralen Aussiedlerdatei „Ados“ nicht nur die Herkunftsadressen von Aus- und Übersiedlern sowie die Adressen ihrer früheren Arbeitgeber in den Herkunftsländern gespeichert, sondern neuerdings auch die ersten Wohnsitze der Flüchtlinge in der BRD.
Die Grünen im hessischen Landtag haben jetzt den hessischen Innenminister Milde (CDU) aufgefordert, umgehend dafür Sorge zu tragen, daß das hessische Landesamt für Verfassungsschutz seine Zuarbeit für die Zentraldatei „Ados“ und für die „Zweigstelle für Befragungswesen“ sofort beendet. Die Praxis der Geheimdienstorganisationen Verfassungsschutz und BND entbehre jeder Rechtsgrundlage, wie der Landtagsabgeordnete Rupert von Plottnitz gestern in Wiesbaden erklärte - eine Auffassung, die vom hessischen Datenschutzbeauftragten mit Vorbehalt gestützt wird. Auf Nachfrage erklärte der Sprecher des Datenschutzbeauftragten, Dr.Stefan Walz, die Datensammlung und -speicherung von BND und Verfassungsschutz für „höchst bedenklich“. Auch die Datenschutzbeauftragten der anderen Bundesländer hätten sich „in dieser Richtung geäußert“. Das Amt sei zur Zeit dabei, eine ausführliche Stellungnahme zu erarbeiten, die am 7.Dezember vorgelegt werden soll.
Die Erklärung des Bundesinnenministers, wonach „Ados“ von den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder unter dem Gesichtspunkt der „Spionageabwehr“ übereinstimmend als notwendig bezeichnet worden sei, nannte der Grüne von Plottnitz „lachhaft“: „Wo kämen wir hin, wenn es zulässig wäre, Leute nur deshalb, weil sie als Aus- oder Umsiedler aus einem Ostblockland in die BRD ziehen, prinzipiell als potentielles Sicherheitsrisiko zu verdächtigen.“ Nach Auffassung der Fortsetzung auf Seite 2
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Grünen ist es „mehr als makaber“, daß ausgerechnet DDR -Flüchtlinge quasi aus den Armen des Stasi in die „Obhut“ bundesdeutscher Geheimdienste übernommen würden.
Um Licht in das Dunkel der geheimdienstlichen Erfassung und Speicherung der Daten von Aus- und Übersiedlern zu bringen, haben die Grünen gestern im Landtag einen Berichtsantrag zum Thema eingebracht. In diesem Bericht soll die Landesregierung unter anderem erklären, welche hessischen Behörden und welche Behörden außerhalb Hessens Zugriff auf die von BND und Verfassungsschutz gesammelten Daten haben. Die „Zweigstelle für Befragungswesen“ selbst verweigert jede Auskunft. Nach Auskunft von Iris Blaul (MdL/Grüne) hätten sich dort anwesende Beamte mit „Decknamen aus der Bibel“ vorgestellt.
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