: Frauen bewegen Einzelhandel
■ „Wir sind es nicht gewohnt zu streiken“ / Dokumentarfilm zu Erfahrungen des „Kaufhaus-Streiks“
„Der schönste Kuß ist der nach Ladenschluß 18:30“ mit diesem Motto waren die Verkäuferinnen der Bremer Kaufhäuser im Sommer in den Streik getreten. 92 Prozent der Frauen hatten sich damals für den Streik ausgesprochen. Jetzt ist dieser „Kuß“ zum Untertitel eines Dokumentarfilms über die spektakulären Kaufhausstreiks geworden. „Für uns war es der erste Streik, an dem wir direkt beteiligt waren“, erzählen Renate S. und Ursula Sch., zwei der Hauptdarstellerinnen dieses Videofilms, der jetzt erstmals öffentlich gezeigt wurde. Eindrucksvoll schildert derFilm mit dem Titel „Kaufhaus-Streik“ die Chronologie des Streiks und
die Eindrücke und Erfahrungen von vier beteiligten Frauen. Nach Absprache mit der HBV wurde er von der Mediengruppe „WieDeo“ gedreht.
„Wir sind es nicht gewohnt zu streiken“, so Fachverkäuferin S. von Horten, und beklagt sich ironisch darüber, daß „Männern, die ihre Werkstore blockieren“ mehr Ernsthaftigkeit zugesprochen wird als Frauen. Vereinzelt hatten beim Kaufhausstreik aufgebrachte Ehemänner versucht, ihre Frauen gewaltsam zur Arbeit in die Kaufhäuser zu schieben.
Weniger öffentlich, dafür aber für die betroffenen Frauen umso bedeutungsvoller, hat sich ihr Selbstverständnis verändert.
Nach diesem von Frauen getragenen Streik hat sich „eine Frauenbewegung im Einzelhandel gebildet, wie eine Gewerkschaft sie sich wünschen kann“, so die schriftführende Sekretärin des Betriebsrates Karstadt Bremen, Inge von der Lieth. Und die Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats bei Dyckhoff, Silke Strietzel ergänzt: „Die Solidarität innerhalb der Belegschaft ist durch den Streik gefestigt worden.“
Seit dem Streik trauen sich die Frauen eher, den Betriebsrat überhaupt in Anspruch zu nehmen. Trotzdem gibt es immer noch das Phänomen, daß „viele Frauen sich nur in ihren Pausen zu uns trauen“, erzählt Silke Striet
zel. „Vorher hab‘ ich den Betriebsrat kaum zu Gesicht bekommen. Aber es ist gut, was die gemacht haben, das bringt uns ein Stück näher“, sagt dann auch eine Darstellerin des Films.
Bleibt zu hoffen, daß den eh schon gebeutelten Frauen („wir haben zu jeder Jahreszeit Saison und den dazugehörigen Streß“, Inge von der Lieth), auch in Zukunft die Puste nicht ausgeht. Denn „ob Kaufhausmanagement und betroffene Belegschaften das gleiche unter den Tarifabkommen verstehen“ wie die Sprecherin des Films sich ausdrückt, wird sich nicht nur zeigen, sondern könnte eine nächste Auseinandersetzung werden.
Renate Pinzke
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