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Vom Barackendorf zum Transit-Delta

■ Der G(K)renzkontrollpunkt Dreilinden feierte den Vierzigsten / Zöllner machten trotz Polenkarawanen und Personalmangel ein Faß Schulli auf / Die erste Kontrollstelle in Berlin-Südwest lag in der Enklave Teerofen / Neubau entstand vor 20 Jahren

Nachdem beide deutschen Republiken gründlich ihre Mittlebensjubiläen abgefeiert haben, war gestern eine ihrer Nahtstellen dran: 40 Jahre Kontrollpunkt Dreilinden. Die 180 Südwest-Zöllner hatten Gala angelegt und ihren Oberfinanzpräsidenten Dr. Seifert, ein Faß Schultheiß und ein paar Quadratmeter Stullen an die Zonengrenze geschafft, denn genaugenommen war ein Doppeljubiläum fällig. Am 15. Juli 1949 wurde der Ur-Übergang am Albrechts Teerofen an die ersten sechs Beamten übergeben. Zwanzig Jahre später, im Oktober 1969, wurde die jetzige Kontrollstelle eingeweiht.

Dreilinden, heute ein stinkendes und lärmendes Transit -Delta, durch das jährlich an die drei Millionen PKW die Stadt verlassen, war in den Fünfzigern ein gemütliches Barackendörfchen, gerade mal von 300.000 Autos passiert - in beiden Richtungen. Der damalige Übergang lag in der Enklave Teerofen, wo sich heute dauercampende Durchhalte-Berliner, Öko-Hüttenbewohner, Bhagwan-Frischlüftler, Hobby -Bogenschützen, ein Barackenkneipier und Berlins letzter kommerzieller Angler ihre persönliche Diaspora geschaffen haben.

Zwei Kilometer westlich fahren nun Erholungssuchende temporeduziert in den Urlaubsauftakt-Stau - zum Osterferienbeginn zählten die Zöllner innerhalb von 24 Stunden 42.000 PKW. Erst das Transitabkommen von 1971 ermöglichte den schnellen, unbürokratischen Abgang. Von 1970 bis 1980 verdreifachte sich der Verkehr.

Heute haben die Dreilindner Zöllner, die auch die Autokolonnen aus der weiteren Ostumgebung (Polen, UdSSR) abwickeln, erneut schwer an einer Weltkriegsfolge zu tragen. Polnische Touristen entern zu Zehntausenden mit Wurst, Wodka und Westzigaretten die naheliegende und eintrittsfreie Stadt. Schlecht für die Zöllner, die mit kaum gewachsenem Personalstand jeden Polenwagen kontrollieren müssen. Die grüne Versicherungskarte will vorgezeigt sein, das Westberliner „Wirtschafts- und Sozialgefüge geschützt“ (O -Ton Zoll) sein. Die Hobby-Importeure aus Polen fordern die Zöllner mit immer raffinierteren Hohlräumen in Bekleidung und Fahrgastzellen heraus. Deshalb wollen die Grünjacken jetzt Verstärkung von Ober-Zöllner Waigel aus Bonn. Beamte aus dem Bundesgebiet sollen her, mehr Nachwuchs und neue Stellen.

Mit Grausen denken die Zöllner an die Post-Perestroika -Reisewelle, die aus dem deutschen Bruderstaate demnächst droht. Auch für Trabis ist die grüne Versicherungskarte Pflicht. Einziger Trost der Beamten: „Es gibt ja auch noch andere übergänge.“

kotte

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