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Aids und Pest und Cholera

 ■ S T A N D B I L D

(Quarantäne, Mi., 25.10., 20.15 Uhr, ARD) Das Szenario mobilisiert die Urängste des Menschen: Das Aids-Virus ist mutiert, der neue aggressive Virusstamm ist hochgradig infektiös und wird schon durch einfache Körperkontakte übertragen. Die neue tödliche Seuche droht sich in rasender Geschwindigkeit auszubreiten.

In dieser Situation tritt Staatssekretär Schummberger (Gauweiler) auf den Plan und setzt gemeinsam mit dem Virologen Kron (Gauweilers Berater Michael Koch) eine gnadenlose Seuchenbekämpfung durch. Alle Infizierten sollen aussortiert und abgesondert werden. Die Operation läuft an: Straßensperren, Fahndungen, Greiftrupps der Polizei, Zwangstests an jeder Straßenecke. Die Handelnden tragen Mundschutz, ihre Gesichter und ihre Menschlichkeit sind verhüllt.

Die von Regisseur Hofmann ausgedachte Welt ist aufgeteilt in Gesunde und Kranke, und die Kranken erwartet die Isolierzelle und - der Tod. Mittendrin in den Seuchenwirren hat sich ein Liebespaar verstrickt, der Richter (Serum -negativ) und die Rechtsanwältin Jonason (positiv). Am Ende siegt die Menschlichkeit: Der Richter blickt Frau Jonason tief ins Auge, schiebt den Mundschutz beseite und küßt sie auf den infektiösen Mund.

Der Versuch Nico Hofmanns, die Gauweilereien einmal konsequent zu Ende zu denken und auf die Spitze zu treiben, ist lobenswert. Doch das Szenario, das er dazu konstruiert hat, läuft ihm aus dem Ruder. Ein tödliches Virus, das schon durch simplen Körperkontakt übertragbar ist, würde nichts anderes als den Ausnahmezustand der Menschheit bedeuten. In dieser Situation des Ausnahmezustands muß dem Zuschauer aber selbst die härteste Seuchenbekämpfung zulässig, ja angebracht erscheinen. In dieser Situation wird es tatsächlich keine Menschlichkeit mehr geben, sondern vermutlich Hysterie, Panik, Mord und Totschlag. Was offenbar als Plädoyer für mehr Menschlichkeit im Umgang mit Aids gedacht war, bleibt zwiespältig und wird ungewollt sogar zur Rechtfertigung von Repression und Freiheitsberaubung.

Erneut wird die schwer übertragbare Infektionskrankheit Aids in den Kontext eines eher auf Pest und Cholera zutreffenden Szenarios gestellt. Dieser Vergleich ist nicht nur unzulässig, sondern gefährlich, denn er aktualisiert alte Seuchenängste, die eine rationale Aids-Bekämpfung nur verhindern.

Auch die Schlüsselszene des Films ging in die Hose. Der Richter, der seine infizierte Geliebte beglückt in die Arme schließt, ist - wenn man Hofmanns medizinischen Prämissen folgt - ein Selbstmörder. Im irrationalen Schub der Liebe infiziert er sich selbst. Er hat sich nicht nur für die Menschlichkeit entschieden, sondern auch für den Tod. Bei Aids dagegen ist die Entscheidung für Menschlichkeit weder mit Irrationalität noch mit eigenen Risiken verbunden. Und schon gar nicht mit dem Tod.

Manfred Kriener

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