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Ein Thema, das jede/n angeht-betr.: "...und dann könnte man eine neue Welt bauen", taz vom 21.10.89

Betr.: “...und dann könnte man eine neue Welt bauen“, taz vom 21.10.89

(...) Ich bin wütend und traurig, wenn ich an meine eigene Behandlung in der Psychiatrie denke, aber auch wenn ich an die Hilflosigkeit meines Umfeldes denke - an die Tabuisierung des Themas Psychose und Psychiatrie bis hin zur Verachtung dieser Verrückten.

Diese unglaubliche Power, die du in einer Psychose hast und in der du dich stark, lebendig, und kreativ fühlst, bis hin zu Wahrnehmungen, die du vorher nicht kanntest, auch den Haß, die Wut und die Ängste, die du auslebst - werden brutal unterdrückt.

Ich kenne die unterschiedlichsten Neuroleptika aus eigener Erfahrung: du wirst derart dumpf, gefühllos und kaputt, du kannst deine Bewegungen nicht mehr koordinieren, nicht mehr ruhig sitzen, sabberst, frißt und fühlst dich einfach fürchterlich.

Als unglaublich menschenverachtend und gewalttätig empfinde ich das heute noch übliche Fixieren, das Festschnallen am Bett - ungeachtet der fürchterlichen Ängste, die das auslösen kann. Ich habe oft stundenlang geschrien, ohne daß sich ein Mensch darum gekümmert hat. Auch ich kenne die fürchterlichsten Depressionen danach bis hin zu Selbstmordgedanken. Es wurde mir eingeredet, das gehöre zu meinem Krankheitsbild, der sogenannten „manisch-depressiven Psychose“. Ich hatte mein Leben lang davor keinerlei Depressionen.

Ich habe deshalb jahrelang Therapie gemacht in der Annahme, es gehöre zu meiner kaputten Persönlichkeit; mein Verdacht, meine Depris hingen mit Psychopharmaka zusammen, wurde von Euch wieder bestätigt und mein Zorn gegenüber diesen hilflosen Helfern, die Menschenleben zerstören, wird immer größer.

Jede/r sollte mal einen Besuch in der (geschlossenen) Psychiatrie machen und sich Menschen unter dem Einfluß von Psychopharmaka ansehen - es ist fürchterlich.

Ich kann nur verschärft die Forderung der Irrenoffensive nach einem Weglaufehaus unterstützen - jede/r sollte aus der Psychiatrie weglaufen, solange diese mit derart menschenverachtenden Methoden arbeitet.

Bitte weiterhin Berichte über Psychiatrie, ein Thema, das wirklich jede/n angeht; auch ich dachte nie, jemals mit der Psychiatrie in Berührung zu kommen.

Petra

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