piwik no script img

Neofaschisten fordern Rache an Libyen

Nach der Ermordung eines Italieners in Tripolis ist die Regierung Andreotti unter Druck / Entschädigung für die Besetzung Libyens als Auslöser für Beziehungskrise / Besucher-Schiff in Neapel von Carabinieri blockiert  ■  Aus Rom Werner Raith

„Dem Schwein“, schreit Aieme D'Alessandro und schwingt seine mit allerlei Runen bemalte Steinschleuder, „dem werden wir zeigen, wo die echten Italiener stehen.“ Unklar, wer „das Schwein“ ist: Mal geht's gegen den libyschen Staatschef Ghaddafi, mal gegen Ministerpräsident Andreotti, der der „Wüstensau“ allzu willfährig ist; auch Außenminister De Michelis wird in die Kategorie der Borstenviecher eingereiht, war er doch kürzlich zu den Revolutionsfeiern nach Tripolis gereist und hat sich dort als „Knecht der US -Imperialisten“ verspotten lassen.

Mehrere hundert Rechte, vorwiegend vom Jungvolk des „Movimento sociale“ (MSI), aber auch gestandene Krawattensenioren, stehen seit dem frühen Morgen vor der libyschen Botschaft in Roms Via Nomentana. Zwar werden sie von den gut dreihundert aufmarschierten Carbinieri und Polizisten problemlos in Schach gehalten, doch ihre Slogans tönen mehrere hundert Meter weit: „Aug um Aug, Zahn um Zahn“ skandieren sie, und: „Wir werden euren 'Tag der Rache‘ schon rächen.“

„Tag der Rache“ ist in Italien derzeit das Schlagwort Nummer Eins. Ein Gemisch aus Frösteln und Staunen hat die Nation ergriffen: Da fordern die Libyer, fast ein halbes Jahrhundert nach dem Ende der 1911 begonnenen Besetzung ihres Landes, Entschädigung für die erlittenen materiellen und immateriellen Schäden - und die haben die Italiener, ihrer Meinung nach, doch längst bezahlt. 1956 wurden, nach einem von den Vereinten Nationen ausgehandelten Vertrag, insgesamt 1,6 Millionen Pfund Sterling überwiesen. Daß das Geld ausschließlich von der damals noch herrschenden Königsfamilie vereinnahmt wurde und das libysche Volk sich damit in keiner Weise entschädigt sieht, will in Italien nur wenigen in den Kopf.

Mickrige Entschädigung

Allerdings: daß die 1,6 Millionen Pfund Sterling vielleicht doch etwas mickrig waren angesichts der Deportation von mehr als 50.000 Libyern nach Italien und der dreieinhalb Jahrzehnte währenden Ausbeutung des Landes, leuchtet so manchem ein. Selbst die Regierung hat - mit dem jämmerlichen Zusatz „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ - schon den Bau eines Krankenhauses angeboten, „als Zeichen des guten Willens“. Das jedoch erwies sich als diplomatischer Meister -Fehlpaß, denn wenn Libyen etwas vorweisen kann, dann seine zahlreichen Hospitäler.

Als vorige Woche mehrere hundert Libyer anläßlich der Wiederkehr des „Besetzungstages von 1911“ einen Marsch auf Rom ankündigten, um den Schadensersatz beim Parlament anzumahnen, und als Anfang der Woche in Neapel ein Schiff mit gut 800 Passagieren aus Tripolis einlief, dämmerte es den Politikern, daß man die Plagegeister aus dem Süden diesmal nicht so leicht loswerden würde. Eiligst wurde das Libyerschiff an eine abseitige Mole dirigiert, den - nach ihren Angaben zum Besuch der Gräber ihrer Verwandten auf Ustica, Faviganano und den Tremitischen Inseln angereisten Arabern der Gang von Bord mit der Begründung verboten, sie besäßen kein gültiges Visum. In Rom weigerte sich der Vorsitzende des auswärtigen Ausschusses, die Protestler zu empfangen. Vom fernen Venedig gab Ministerpräsident Andreotti eine windelweiche Erklärung ab, daß er „zwar den noch immer vorhandenen Schmerz der Libyer verstehen“ könne, doch ansonsten „gebe es keinerlei offenen Probleme“.

Zum Erstaunen der Römer und vor allem der Polizei reagierten die Libyer überaus sanft. Keinerlei böse Reaktionen waren zu vernehmen; die Marschierer gaben sich mit Begegnungen zweitrangiger Politiker zufrieden. Selbst enge Verwandte wie der Sohn des einst von den Italienern nach Aufständen gehenkten Omar al Muchtar zeigten allenfalls „Trauer über das Unverständnis“. Auf der in Neapel festliegenden „Garnata“ hatten die Libyer schon am Dienstagabend die bei der Einfahrt gehißte Flagge „Tag der Rache“ gestrichen; ein junger Mann namens Muammar ruft uns in gebrochenem Italienisch zu: „Wir sind wirklich zum Trauern gekommen, kapiert ihr das nicht?“ Wahrscheinlich haben wir Europäer wirklich die Fähigkeit zu trauern verloren. Einer der fünfzig zur Verhinderung eines „Ausbruchs“ der Passagiere angerückten Carabinieri wird nachdenklich: „Wenn sie mich am Besuch der Gräber meiner Eltern hindern würden, ich denke, ich würde auch rabiat.“

Daß sich die Lage plötzlich dramatisch verschärfte, hängt mit der am Mittwochvormittag bekanntgewordenen Ermordung des italienischen Ingenieurs Roberto Ceccato in Tripolis zusammen. Obwohl libysche Behörden sofort erklärten, es habe sich dabei um einen Raubüberfall ohne politischen Hintergrund gehandelt, und es bisher keine Beweise gegen diese Version gibt, haben die Neofaschisten vor der libyschen Botschaft nun den Adrenalinstoß zum Angriff auf die Botschaft; massiver Schlagstockeinsatz wirft sie allerdings schnell wieder zurück. Doch „Rache“ ist nun zum Monopol der Rechten geworden: „Rache für Ceccato“, aber auch „Andreotti an die Wand“. Kein Zweifel jedoch: mit dem Tod des italienischen Ingenieurs haben Italiens Rechtsaußen, die den Verlust der Kolonien sowieso nicht verschmerzen können, endlich den gesuchten Märtyrer. „Ein Himmelsgeschenk, dieser Mord“, jubelt neben mir Aieme und kann gar nicht verstehen, daß ihn danach einer seiner Mitstreiter beiseite zieht und ihm an die Stirn tippt.

Unklar bleibt freilich, ob der ihn wegen seines Jubels bremsen will, oder weil er ihn vor einem Journalisten gezeigt hat.

Libyen schottet sich ab

Rom (dpa) - Anläßlich des nationalen Trauertages zum Gedenken an die italienische Besetzung durch Italien am 26. Oktober 1911 hat Libyen am Donnerstag alle Flug- und Telefonverbindungen mit der Außenwelt unterbrochen. Tripolis wollte damit der Deportation von Libyern während der Besatzung gedenken.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen