Bonn apart: "Urninge" und andere

■ Der Bundestag und die sexuelle Denunziation

Bonn (taz) - Ignoranz konnte man am Donnerstag abend den Abgeordneten des Bundestages nicht vorwerfen: Die rund 30 anwesenden Parlamentarier beim Thema der „sexuellen Denunziation von Urningen“ sind verglichen mit anderen Debatten eine starke Besetzung. Der Termin kurz nach 21 Uhr ist kein Zufall. Dorthin wird abgeschoben, was Schmuddelkram ist, und die „Urninge“ gehören dazu. „Urninge“ sind - nach einer Selbstbezeichnung von 1864 - Schwule und Lesben. In Vorlagen des Bundestages muß es allerdings statt schwul und lesbisch „homosexuell“ heißen.

Zu später Stunde geht es schon mal lockerer zu. Da wird der vorangehende Tagesordnungspunkt von Staatssekretär Riedl (CSU) mit der grinsenden Bemerkung abgeschlossen, daß sich bei der anwesenden „charmanten Gattin“ seines Vorredners dessen Argumente „sicher niederschlagen werden“. Hier wird Männlichkeit produziert. Mann weiß warum: Die Denunziation als Schwuler, ob in der Barschel-Affäre gegen Engholm, bei der Kießling-Affäre oder gegen den bayerischen SPD -Landtagsabgeordneten Zierer, ist ein probates Mittel der politischen oder beruflichen Vernichtung. Volker Beck, Schwulenreferent der Grünen, schätzt den Anteil der Schwulen im Bundestag auf über 30 Prozent - ein öffentliches Coming out wagt keiner.

Mit spitzen Fingern wird das Thema angerührt und nur, wenn mann gezwungen wird. Wenn Justizstaatssekretär Jahn (CDU) schon bei der Anrede der vier anwesenden Grünen betonte Zweifel in den Saal tropfen läßt, ob dies tatsächlich „richtige“ Männer und Frauen sind, dann wird manch anderer Parlamentarier still zusammenzucken.

Die Antwort der Bundesregierung zur sexuellen Denunziation ist dünn: Man mißbilligt sie, sollte es sie vereinzelt tatsächlich geben, und hält die Gesetze für ausreichend. „Strohtrocken“, verharmlosend und von „fehlender Sensibilität“ geprägt, wertet die SPD diese Auskunft. Die Kuh auf das Eis schiebt dagegen die CDU.

Die Grünen schafften erst das „Verfolgungsszenario“, das sie selbst beklagten, enthüllt der Abgeordnete Eylmann (CDU). Eylmann weiß, um was es den Grünen wirklich geht: Sie wollen nicht die Akzeptanz ihrer Andersartigkeit, sondern führen einen „intoleranten“ und „militanten Kreuzzug für die Verbreitung der Homosexualität“. Dazu werde die Sprache in ein „feministisches Esperanto umgebogen“, soll in Schulen indoktriniert werden und Sexualstraftatbestände entkriminalisiert werden. Das sei „Tollheit mit Methode“.

Die CDU bleibt jedenfalls dabei, die Worte „schwul“ und „lesbisch“ in Bundestagsvorlagen nicht zuzulassen. Ihre Begründung: Diese Begriffe seien diffamierender als das wertfreie Wort „homosexuell“. Aha!

Gerd Nowakowski