: Reserve gibt keine Ruh
■ Warum Werder freitags immer gewinnt / Glück oder Unvermögen, 3.Teil unserer Serie
Niemand konnte es wissen, am Freitag abend, halb acht im Weserstadion. Niemand wußte, daß gleich Jung-Stürmer Marco Bode („der deutsche Gullit“) für Werder auflaufen würde und nach 30 und 55 Minuten zwei schöne Tore für Grün-Weiß gegen Kaiserslautern köpfen und schießen würde. Niemand wußte Bescheid, kein Fan, keiner der Journalisten auf der Laufbahn, kein Trainer des
Gegners.
Erst der Herr Weiß, der immer die Aufstellungen 25 Minuten vor Anpfiff an die Experten verteilt, lüftete das Geheimnis. Und so ist das Freitag abend immer im Stadion. Selbst der Herr Schickel von der Morgenpost, der als einziger Neubarths Fehlen gemeldet hatte, tippte auf Meier als Ersatz (der spielte auch, sogar ganz gut). Der Freitag bringt nämlich das ganze eingespielte Mediensystem durcheinander. Leute, die sonst freitags der Presse das neueste Gerücht verkaufen, sind donnerstag nicht erreichbar. „Späher“, die in Gegners Auftrag beim Abschlußtraining spähen, kriegen freitags zwischen Vormittagstraining und Abschlußbesprechung die Infos nicht mehr rüber. Und selbst der gutlaunige Herr Calenberg von der Hansawelle kann niemandem samstags um 11.40 Uhr Otto Rehagels letzte Neuigkeiten vermitteln („Der Gegner ist schwer“ - „Alles ist verletzt, deshalb muß Bode einspringen“). Er ist freitags nicht auf Sendung.
Also, es weiß niemand Bescheid. Das läßt Freude aufkommen im weiten halbleeren Rund. Die Fans sind in Stimmung und gespannt, wenn unerwartete Namen über die Anzeigetafel leuchten. Herr Trainer Roggensatz ist verdutzt. Nein, acht Minuten vor acht, alles zu spät, jetzt kann er den Wuttke doch nicht mehr brin
gen oder den Foda draußen lassen.
Also ist alles bereit für die Werder-Welle, „la ola“. Und da freitags ist und die Journalisten auf den Journalistenbänken - wenn man den Herrn Fricke vom Weser -Kurier übersieht - auch für Samstags nichts mehr in ihre Blätter bringen können („Das Spiel war bei Redaktionsschluß noch nicht beendet“), können sie ebenfalls auf und nieder hüpfen. So stockt die Welle nicht mehr auf der Haupttribüne, wird immer gewaltiger. Schließlich ist es überhaupt kein Wunder, daß sogar Reservisten aus der Abwehr wie Gunnar Sauer leichtfüßig mit dem Ball ins Tor geköpft und geschos
sen werden: 4:0. „Wieder schlägt Werders Torfabrik freitags zu“, werden tiefgründige Analysen montags vermelden. Die Zeit spielt für Werder. Schließlich werden freitags life nur eins dreißig über den Bildschirm gebracht, nur die Tore. Samstags nur das Ergebnis in der Presse, nochmals die Tore. Niemand erfährt'will mehr erfahren, daß 45 Minuten im Weserstadion eher hilflos und glücklich, als voll Können und attraktiv waren. Kaum eine(r) erfährt, daß Bode fast jeden Zweikampf verliert, daß Votava und Borowka Abwehrfehler in Serie zulassen und daß Kaiserslautern zaghaft spielte. Am Montag, wenn endlich die Tagespresse berichten darf, interessieren andere Sportereignisse. Von Werder bleibt nur der Sieg und das Leiden der Reservespieler, die keine Ruhe geben. Die künftigen Gegner sind beeindruckt, eingeschüchtert. Niemand spekuliert über Glück oder Unvermögen, der Sieg mit vier Toren ist einfach spitze. Ob's nun an Bodes Bio-Rhythmus oder am Flutlichtstrahl liegt ist erst Thema für die Esoteriker von Sport-Bild, mittwochs.
Schade eigentlich, daß der DFB so bayernhörig ist: Werder darf in diesem Jahr nicht mehr freitags spielen. In Leverkusen wird aufgeatmet, weißt‘ Bescheid!
Dieter Mützelburg
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