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„Nicht der Mann ist das Modell...“

■ Wissenschaftlerinnen aus West-Berlin und der DDR trafen sich zu eintägigem Erfahrungsaustausch / In der DDR gibt es ähnliche Probleme für Frauen, die wissenschaftliche Karriere machen wollen / Gleichstellungsproblem in der DDR ist vor allem ein ökonomisches

Berlin als Drehscheibe zwischen Ost und West - das ist von Politikern, zumal männlichen, ein gern proklamierter Dauerbrenner. Es war indes das kommunikationsfreudigere Geschlecht, was den Ost-West-Dialog auf unkomlizierte Weise um ein neues Beispiel bereicherte. Auf Einladung der AL -Fraktion, des Frauenforschungs-, Bildungs- und Informationszentrum FFBIZ und der Zentraleinrichtung Frauenforschung an der FU trafen sich am Freitag an die hundert Wissenschaftlerinnen aus Berlin-West und der DDR zu einem Erfahrungsaustausch. Zur Überraschung der Initiatorinnen war allen zehn geladenen DDR-Referentinnen die Ausreise genehmigt worden. Das Programm war so voll, daß die Gastgeberinnen kurzfristig auf eigene Referate verzichteten. Umso mehr erfuhr Frau (West) über Frau (Ost).

„Die Frau muß sich entscheiden, ob die Kinder oder die Wissenschaft im Vordergrund stehen sollen, ich muß mich auch entscheiden, ob ich Segelboot fahren will oder im Institut arbeite.“ Dieser Satz aus dem Munde eines leitenden Wissenschaftlers aus Dresden, zitiert von Karin Hildebrandt vom Zentralinstitut für Hochschulbildung in Ost-Berlin, stand stellvertretend für die zählebigen Rollenbilder in den Köpfen der DDR-Männer. Schon bald wurde klar: Frauen, die heute versuchen, es an den Unis des Arbeiter- und Bauernstaates zu Ruhm und Karriere zu bringen, geht es nicht besser als ihren Kolleginnen im Westen: Obwohl mittlerweile die Hälfte aller Studierenden in der DDR weiblich sind und der Frauenanteil am wissenschaftlichen Personal bei rund einem Drittel liegt, verdünnt sich die Frauenquote bis in die oberen Professorenetagen auf unter fünf Prozent. Und das bei ungleich günstigeren sozialpolitischen Bedingungen für die Erwerbstätigkeit von Frauen. Christine Waltenberg, die für ihre Vorstellung als „wissenschaftlicher Mitarbeiter“ an der Akademie der Wissenschaften der DDR zunächst einige Lacher bei den emanzipationsrhetorisch überlegeneren West -Feministinnen erntete, berichtete von zahlreichen Untersuchungen, mit der man(n) in der DDR gegenwärtig versuche, den Ursachen der Unterrepräsentanz von Wissenschaftlerinnen in verantwortlichen Positionen auf die Spur zu kommen. Oder in DDR-Diktion ausgedrückt: den „Erscheinungen, die das volle Wirksamwerden des weiblichen Kaderpotentials behindern“.

Es stellte sich heraus, daß das Gleichstellungsproblem in der DDR zuallererst ein ökonomisches ist: diskutiert wird es lediglich als Problem der unzureichend effektiv genutzten Produktivkraft „Frau“. Dennoch nicht ohne Stolz berichteten die DDR-Frauen, daß am Tag zuvor der Beschluß für die Gründung eines Zentrums für Frauenforschung an der Humboldt -Universität gefaßt worden war.

Die Frau als unentbehrliche Arbeitskraft und Mutter. Wie beharrlich sich das Bild vom Idealweib im Sozialismus seit den fünfziger Jahren in der öffentlichen Plastik und in der Presse gehalten hat, führten Irene Dölling und Helga Möbius nicht ohne Humor anhand von Zeitschriftenfotos und Dias vor. Die in Stein gehauene mannhafte Traktoristin, die in ihre Arbeit vertiefte, hübsche Fabrikarbeiterin und scharenweise Plastiken von nackten Mutter-Kind-Gruppen als „staatliche Bekunstung“ von Wohngebieten sorgten für Belustigung.

Das Aufrücken von Frauen in die Etagen der Macht wurde von den DDR-Frauen jedoch durchaus zwiespältig beurteilt. Viele Frauen seien einfach nicht mehr bereit, „ihren Mann zu stehen“, gab Inge Gellert, stellvertretende Direktorin des Brecht-Zentrums, die Stimmung im Land wieder. Sie wollten weder die Alibifrauen abgeben noch sich in die alten, von Männern geprägten, Strukturen einpassen.

„Nicht der Mann ist das Modell für die Gesellschaft, sondern Mann und Frau“. Mit dieser Position schienen Marion Kauke und Sonnhild Döring von der Humboldt-Universität zunächst in die gleiche Kerbe zu hauen. Statt „Gleichmacherei“ zwischen den Geschlechtern anzustreben, sollten sich naturgegebene Emotionalität der Frau und kämpferische Intelligenz des Mannes lieber friedlich und nutzbringend ergänzen. Breiten Protest ernteten Kauke und Döring für ihre These, daß Verhaltensunterschiede zwischen Männern und Frauen mit einiger Wahrscheinlichkeit zu einem großen Teil genetisch bedingt seien. Der Rückgriff auf biologistische Erklärungsmuster sei ein „Irrweg“, kritisierte nicht nur die TU-Psychologin Christine Holzkamp: Er verleugne das Geschlechterverhältnis als historisches „Gewaltverhältnis“ und schade den gesellschaftlichen Interessen der Frauen.

Weil die Diskussionen so spannend gewesen waren, harrten die meisten auch dann aus, als schon längst das Abendbuffet aufgefahren war. Die ZE Frauenforschung will die Begegnungen mit Wissenschaftlerinnen aus der DDR in Zukunft jedes Jahr durchzuführen. Und auch die AL-Abgeordnete Hilde Schramm sieht sich einer alten Lieblingsidee einen Schritt näher: einem Kooperationsvertrag mit der Humboldt-Universität.

Beate Schulz

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