Klassenkampf in St.Pauli

Ein Gespenst geht um am Millerntor  ■  PRESS-SCHLAG

In einer Welt, wo alles drunter und drüber geht, wo es plötzlich gestattet ist, nach Herzenslust amerikanische Fahnen zu verbrennen, wo Soldaten getrost, wenn schon nicht als Mörder, so doch wenigstens als „potentielle“ tituliert werden dürfen, wo nicht mal mehr auf den Osten Verlaß ist und wo die Vereinigten Arabischen Emirate für die Fußball-WM qualifiziert sind, die Bundesrepublik aber noch nicht, braucht der verunsicherte, im Grunde seines Herzens konservative Mensch einen Halt. Mit anderen Worten: Er braucht den DFB.

Wie ein Fels in der Brandung des ewigen Wandels kämpft der Deutsche Fußball-Bund unerschütterlich gegen den schändlichen liberalen Geist, der sich allenthalben breitmacht, und verteidigt vehement die guten alten Werte, als da wären: Der Ball ist rund und das Spiel dauert 90 Minuten. Basta!

Nachdem der lange Kreuzzug der Funktionäre gegen die sozialistische Namensgebung des Kasseler Klubs „Dynamo Windrad“ erfolgreich abgeschlossen werden konnte, waren die Herren des DFB nun am Hamburger Millerntor im Einsatz, um Subversion und Aufruhr in die Schranken zu weisen. Der FC St. Pauli hatte in seiner Stadionzeitung einen taz-Artikel seines Torhüters Volker Ippig aufgegriffen und das Spiel gegen Bayern München als „Klassenkampf“ zwischen „dem armen Klub aus dem Arbeiterviertel“ und der „streng kapitalistisch ausgerichteten Glamour-Welt des FC Bayern“ bezeichnet.

Wenn man streng marxistische Kriterien anlegt, ist das nicht hundertprozentig korrekt, aber Marx ist ja bekanntlich tot, wie uns ein zur geistigen Entrückung neigender, runder Bundesminister vor einigen Wochen verriet. Die Bayern fühlten sich dennoch auf die Frackschöße getreten, protestierten beim DFB wegen „Volksverhetzung“ und drohten nun ihrerseits klassenkämpferisch - mit Streik. Beim kleinsten Zwischenfall wollten sie kollektiv vom Platz gehen.

Da aber trat der DFB in Aktion. Liga-Sekretär Straub untersagte den Verkauf der Stadionzeitung, und St.Pauli -Präsident Paulick bewies, daß auch am Hamburger Millerntor der revolutionäre Geist nur noch schwächlich spukt. Er beugte sich dem Verdikt und stoppte die Auslieferung des Blattes. Das Publikum mußte also auf erbauliche Lektüre vor dem Spiel verzichten und hatte auch später wenig Freude, denn die Bayern gewannen relativ unverdient mit 2:0.

Danach schlugen die Wogen der Erregung immer noch hoch. Der Händedruck zwischen den beiden Trainern Schulte (arm) und Heynckes (reich) fiel „so unterkühlt aus wie zwischen einem verbitterten Gewerkschaftsführer und einem distanzierten Arbeitgeberpräsidenten“ ('dpa‘), und St.Pauli-Vizepräsident Hans Apel griff sich erbost das Mikrofon: „Vor 1918 gab es den Paragraphen der Majestätsbeleidigung. Wahrscheinlich meint das Präsidium des FC Bayern, daß es diesen Paragraphen zu seinen Gunsten immer noch gibt.“

Aber da ist dem guten Herrn Apel wohl sein altes sozialdemokratisches Herz ein wenig durchgegangen. Zwar verfährt der DFB im allgemeinen durchaus nach der Devise „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist“, aber gesteigerten Monarchismus kann man ihm dennoch kaum vorwerfen. Im übrigen sind die Gralshüter des Fußballs gar nicht so schlecht, wie sie manchmal tun. Wie aus gewohnt unglaubwürdigen Kreisen verlautet, hat der DFB auf seinem Bundestag den Antrag des FC Bayern, die Bundesliga auf einen Verein zu reduzieren, glatt abgelehnt.

Matti