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Der „Tote“ aus der Schönhauser Allee

Klaus Laabs wurde vom LKW überrollt und überlebte / Zeugen hielten ihn für tot  ■ D O K U M E N T A T I O N

In der Dokumentation zu Mißhandlungen von Demonstranten durch die Polizei anläßlich der Ereignisse zum 40. Jahrestag der DDR berichten mehrere Augenzeugen von einem Vorfall in der Schönhauser Allee, bei der ein junger Mann von einem Polizei-LKW überrollt worden ist (taz vom 24.10.). Gerüchte wollten nicht verstummen, daß der Überrollte dabei zu Tode gekommen ist. In zwei Schreiben an den Präsidenten der Akademie der Künste der DDR und an die Herausgeber der „Gedächtnisprotokolle“ versucht der DDR-Schriftsteller Klaus Laabs den „Gerüchten um den Toten von der Schönhauser Allee ein Ende zu setzen“. Er sei vom LKW gesprungen und vom nachfahrenden LKW überrollt, nicht aber tödlich verletzt worden. Die taz dokumentiert Auszüge aus seinen Schreiben.

(...) Als Beitrag zur notwendigen Dokumentation der Übergriffe durch die „Sicherheitsorgane“ unseres Landes erlaube ich mir, Sie auf mein Erleben des 7.Oktobers auf der Schönhauser Allee hinzuweisen.

Nachdem ich in der Gemeinschaft mit Freunden von den beiden Kesseln erfuhr, in denen auf der Schönhauser Allee Hunderte bzw. Tausende von Demonstranten (von deren Friedfertigkeit ich mir kurz zuvor selbst ein schlüssiges Bild machen konnte) drangsaliert wurden, ging ich mit meinen Freunden an den Ort des Geschehens. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich bereits viele Bürger versammelt, die um den Kessel Höhe U -Bahnhof Schönhauser Allee die Situation beobachteten und „freies Geleit“ für die Eingeschlossenen skandierten. Als einer der Polizei- und Staatssicherheitskordone die Umstehenden Richtung Gleimstraße abzudrängen begann, versuchte ich, mit einem offensichtlich befehlskräftigen Offizier (...) ins Gespräch zu kommen. An einer kritischen Stelle unseres etwa dreiminütigen Dialogs gab er einem (?) Untergebenen ein Zeichen, mich „zuzuführen“. Daß ich sein Zeichen richtig verstanden hatte, bewiesen die drei bis sechs Bereitschaftspolizisten, die mir unter Beschimpfungen mit gezogenen Gummiknüppeln nachsetzten. Ich stürzte, konnte mich aber an einem Fußgängergitter festklammern. Dadurch wurden meine Freunde Zeugen meiner Zuführung. Das hatte ich beabsichtigt. Nicht aber die hemmungslosen Knüppelschläge auf Gliedmaßen und Kopf.

Die Aussichtslosigkeit meiner Situation einsehend, ließ ich mich danach widerstandslos auf einen Lastwagen verfrachten. Ein Versuch, vom noch stehenden LO zu entkommen, wurde vereitelt.

Das Abspringen gelang mir dann beim Anfahren der LKW -Kolonne. (Das Abspringen schildert Laabs in einem zweiten Schreiben (28.10.) präziser; d.Red.):

Mein Absprung vom mittleren der drei LOs, die „Zugeführten“ einem ungewissen Schicksal entgegenfuhren, ist direkt beobachtet worden: Norbert Bischoff, wohnhaft 1058 Berlin, Lettestraße 1, stand mit Christina Links vor der Kaufhalle Ecke Schönhauser Allee/Stargarder Straße und sah vom zweiten der kurz vor Mitternacht Richtung Stadtzentrum abfahrenden Lastwagen jemanden abspringen. Da er glaubte, mich erkannt zu haben, kamen die beiden zu der Stelle gelaufen, wo ich inzwischen, umringt von zahlreichen Passanten, bewußtlos lag. Die Zeit und der Ort, dessen sich Christina Links als vor dem Antiquariat in der Schönhauser Allee zwischen Gleim und Gaudystraße erinnert, stimmen mit den „Gedächtnisprotokollen“ mehrerer mir unbekannter Zeugen überein (vgl. u.a. taz vom 24.10., S.3). Auch die protokollierte Personenbeschreibung ist korrekt: Ich trug in jener Nacht meine schwarze Lederjacke, Bluejeans und schwarze Schnürstiefel. Daß mehrere Personen abgesprungen seien, habe ich nicht beobachtet.

Selbst entsinne ich mich, daß ich mir der Gefahr, vom nachfolgenden LO erfaßt zu werden, durchaus bewußt war, aber auch sah, daß ich dann wahrscheinlich zwischen den Rädern zu liegen käme, wie es offensichtlich geschehen ist. Nach dem erlebten Haß der knüppelnden Polizisten schien mir dieses Risiko geringer als die Ungewißheit, was mit uns gerschehen würde. Zudem vertraute ich darauf, daß die Lastwagen eben erst anfuhren. Übersehen habe ich wohl, daß der Sicherheitsabstand zwischen ihnen zu gering war, und ich hatte auch nicht damit gerechnet, wie eilig man es hatte, uns wegzuschaffen, und deshalb auf Teufel komm raus Gas gab. (...)

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