: Auf Sand gebaut
■ Der Bonner Wohnungsbaupolitik fehlt die klare Linie - und das Geld / Von Eva Schweitzer
Nach Jahren des heimlichen Gesundbetens ist sie nun nicht mehr zu verschweigen, die Wohnungsnot in den Großstädten. Rezepte, die den Wohnungsbau ankurbeln sollen, kursieren in Bonn viele: staatliche Programme, Kredite, Steuererleichterungen, Mietrechtsänderungen. Bis Anfang nächster Woche wollen sich die Koalitionsfraktionen einig werden. „Hektik und Aktionismus“ konstatiert der Zentralverband der Hausbesitzer, „Stückwerk und Irrwege“ der Deutsche Mieterbund.
„Die in Bonn haben solange geschlafen, bis die Aussiedler kamen, dann sind sie aufgewacht und in Panik geraten“, sagt Stefan Kampmann vom Deutschen Mieterbund. Eine halbe Million wohnungssuchende Aus- und Übersiedler treffen auf Millionen Bundesdeutsche, die eine Bleibe brauchen. Darunter sind viele sozial schwache, kinderreiche oder alleinerziehende Familien, Studenten und Obdachlose mit immer weniger Chancen auf dem Wohnungsmarkt. Allein in Berlin haben 80.000 Haushalte einen Wohnberechtigungsschein für eine Sozialwohnung, der inzwischen als Muster ohne Wert gilt. Die Nachfrage wird noch steigen, denn aufgrund der geänderten Familienstruktur steigt die Zahl der Haushalte unverhältnismäßig stark. Gutverdienende in den schick sanierten Innenstädten beanspruchen mehr und mehr Wohnraum. Die billigen Wohnungen jedoch werden weitaus schneller weniger, als jede Regierung bauen könnte.
Am 1.Januar 1990 fällt die Gemeinnützigkeit für 3,4 Millionen Sozialwohnungen, meist in Großstädten. Ein Antrag von SPD und Grünen, dies um drei Jahre zu verschieben, wurde von der Regierungskoalition letzte Woche abgelehnt. Es gibt weitere knapp zwei Millionen Sozialwohnungen nicht gemeinnütziger Unternehmen, aber bei über der Hälfte des gesamten Sozialwohnungsbestandes wird in den nächsten Jahren die Mietpreisbindung auslaufen. Viele Kommunen verkauften in den letzten Jahren ihre Bestände. Vormals preiswerte Altbauten werden zunehmend in teure Eigentumswohnungen umgewandelt. Gleichzeitig schnellten in den letzten Jahren die Mieten hoch: Münchner Spitzenwerte etwa sind 28 Mark kalt pro Quadratmeter.
Dagegen stellt die Regierung Kohl seit Monaten schrittweise ein Programmbündel vor, das im wesentlichen gekennzeichnet ist vom Bedürfnis, Geschäftigkeit zu verbreiten: Steuererleichterungen, Wohnungsbauprobleme, neue Trabantenstädte, Fertigbauten unter Vereinfachung baurechtlicher Auflagen, der Umbau von Schweineställen in Wohnungen und weitere „unkonventionelle Vorschläge“ sind teils beschlossen, teils Gegenstand heftiger Diskussionen.
Als eine der ersten Maßnahmen wurden die Mittel für den Sozialwohnungsbau auf 1,6 Milliarden für nächstes Jahr verdoppelt - die Länder, die über die Gelder verfügen, legen noch einmal den gleichen Betrag drauf -, die Mietpreisbindungen sind jedoch weitestgehend gelockert: So müssen die Länder mit diesem Geld keineswegs nur den klassischen Sozialwohnungsbau fördern, der verhältnismäßig preiswert und auf 30 Jahre belegungsgebunden ist, sondern können es in ein vor einem Jahr vom Bundesbauministerium gestricktes Programm stecken, das eine frei vereinbarte Bindungsdauer vorsieht. „Diese Wohnungen sind meist nur für fünf Jahre belegungsgebunden, das reicht bei weitem nicht“, meint Jutta Oesterle-Schwerin, Baufachfrau der Grünen in Bonn. Auch die Miethöhe wird für diese Zeit zwischen Förderungsgeber - also dem Bundesland - und dem Bauherrn frei vereinbart, je nach Lage. Fataler Nebeneffekt: In den Ballungszentren, wo die meisten Wohnungen gebraucht werden, sind die Programmieten am höchsten. In einem vergleichbaren Programm, das es seit drei Jahren in Berlin gibt, kostet der Quadratmeter inzwischen durchschnittlich fast 15 Mark.
Auch die Scheunen und Dachböden, die mit vor einigen Tagen angekündigten zinsverbilligten Krediten der KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) von 1,5 Milliarden zu Wohnungen umgebaut werden können, unterliegen keinerlei Preis- und Belegungsbindung. Das gilt auch für alle weiteren bislang angekündigten Investitionsanreize wie Steuervergünstigungen oder Abschreibungsmöglichkeiten. Daß die Bonner Programme weder Miet- noch Belegungsbindungen produzieren, räumt auch Dr.Kansy, baupolitischer Sprecher der CDU, ein: „Aber wir wollten schnell handeln und uns nicht von der Kontrollbürokratie der Länder bremsen lassen.“ Ein weiteres Wohnungsbauprogramm, das durch die Zeitungsspalten geisterte, ist bislang nicht geplant - im Bauministerium zumindest dementierte man das ausdrücklich. Darüber hinaus, kritisieren Mieterbund, Opposition und Deutscher Städtetag einhellig, seien 1,6 Milliarden viel zuwenig: Zwischen 3,5 und zehn Milliarden seien notwendig. Um den Wohnungsmangel zu bekämpfen, will die SPD im Falle einer Regierungsübernahme den klassischen sozialen Wohnungsbau neu beleben. Es müßten mindestens fünf Jahre lang jährlich 100.000 Sozialwohnungen gebaut, mit zehn Milliarden Mark gefördert werden, sagte der stellvertretende Parteivorsitzende Oskar Lafontaine.
Sickereffekt zweifelhaft
Freilich wurde der Sozialwohnungsbau damals nicht grundlos umgestellt. Das sei für den Staat preiswerter, zudem würden Leute, die in diese Wohnungen ziehen, woanders welche frei machen - der sogenannte Sickereffekt, hieß es. An dessen Existenz sind allerdings in den letzten Jahren schwere Zweifel aufgekommen: Beispielsweise untersuchte der hessische Stadtplaner Detlev Ibsen die Auswirkungen sämtlicher Umzüge nach der Erstellung eines Neubaukomplexes in Mannheim mit knapp 800 Wohnungen verschiedenster Preislage. Durch diesen Neubau wurden insgesamt 3.000 Umzüge in mehreren Wellen ausgelöst. Ergebnis: Die meisten Haushalte, die umziehen, verbessern sich im Ausstattungsstandard, verbrauchen danach mehr Wohnfläche, allerdings steigt auch die Miete. Je weiter hinten in der Umzugskette sich ein Mieter befand, desto weniger verbesserte er sich im Verhältnis zu den anderen Mietern. Berücksichtigt man außerdem, daß bei Neuvermietungen Preissprünge von 20 Prozent im Bundesdurchschnitt üblich sind, so kann man sich vorstellen, daß von der Hochsickerei ausschließlich eine gutverdienende Mittelschicht profitiert, die sich verbessert, sowie die jeweiligen Hausbesitzer. Daß der Sickereffekt nicht funktioniert, räumte jüngst sogar der Berliner Hausbesitzerverband ein. Schuld daran ist allerdings nach dessen Einschätzung, daß es noch zu viele billige Wohnungen gibt, die den Markt verzerren: Zu viele Leute nähmen nach wie vor zuviel preiswerte Wohnfläche in Anspruch. Daß Bonn weiterhin an das Sickern glaubt, läßt sich nur mit dem Schielen auf ein - nicht unbeträchtliches Wählerklientel erklären, das sich nicht weiter verbessern will.
In Bonn setzt man nach wie vor auf den Markt. Wenn sich Neubau wieder lohnt, wird da auch investiert, und irgendwann ergibt das durch die Logik von Angebot und Nachfrage tragbare Mieten für alle, so könnte man diese Philosophie umreißen. Falls dies überhaupt klappt, dann dürften darüber noch einige Jährchen, wenn nicht Jahrzehnte, ins Land gehen. Auf eine Million beziffert der Mieterbund die derzeit fehlenden Wohnungen, Tendenz steigend. 400.000 hofft die Regierungskoalition nächstes Jahr bauen zu können, realistisch seien, so der Zentralverband des Baugewerbes, „maximal 320.000“. 240.000 waren es letztes Jahr. Denn bauwilligen Kommunen droht noch ganz anderes Ungemach: Das Bauland wird knapp, die Hochbaupreise steigen, die Grundstückspreise schießen gar jährlich um zehn bis 15 Prozent in die Höhe, erklärte jüngst der Verband Deutscher Makler. Auch die Hypothekenzinsen steigen, um zwei Prozent im Jahr. Zur Preissteigerung trägt auch die Ankündigungspolitik bauwilliger Politiker bei. „Jedesmal, wenn unser Bausenator wieder eine neue Planzahl verkündet, steigen die Bodenpreise um zehn Prozent“, stöhnte jüngst ein Berliner Architekt.
Vorübergehend verlor man in Bonn den Glauben an den Markt, als letztes Jahr die Aussiedler in Scharen kamen, und legte ein Wohnungsbauprogramm ausschließlich für diese auf. „Das hatte erst recht verheerende Auswirkungen“, meint Mieterbund -Mann Kampmann. Denn nun waren selbst bislang treue CDU -Wähler über die Bevorzugung der „Ostler“ empört. Jetzt meldeten sich wieder die Apologeten der Marktwirtschaft zu Wort: Man müsse das Mietrecht lockern, forderten unisono FDP -Graf Lambsdorff und der Präsident des Hausbesitzerverbandes, Theodor Paul, und „echte Zeitmietverträge“ gestatten, dann würden sich Eigentümer zur Vermietung durchringen, die jetzt davor zurückschreckten. „Heute ist ein Mietverhältnis schwerer zu lösen als eine Ehe“, so Lambsdorff. „Absurd“, so Kampmann, „seit 1983 gibt es Zeitmietverträge, und trotzdem wird mit Leerstand spekuliert.“ Dem Grafen gehe es darum, einen Hebel zu finden, den Schutz sämtlicher 15 Millionen Mietverhältnisse aufzuweichen.
Wohnraumbeschlagnahme
als Alternative
Das bessere Mittel gegen Leerstand sind nach Auffassung des Mieterbundes wie auch der Bonner Opposition restriktive Maßnahmen des Staates. So schlagen die Grünalternativen beispielsweise in Berlin oder Nordrhein-Westfalen vor, leerstehenden Wohnraum zu beschlagnahmen, was in Großstädten rechtlich möglich ist, wenn auch nur befristet. Oder aber man besteuert leerstehende Wohnungen so wie vermietete, schlägt der Stuttgarter Oberbürgermeister Rommel vor (siehe Interview). Statt weniger Mieterschutz fordert der Mieterbund mehr: Zum Beispiel vor der Umwandlung von Miet in Eigentumswohnungen. Dadurch wurden in den letzten Jahren zunehmend Mieter vormals preiswerten Altbaus vertrieben. Da unterstützt der Gesetzgeber den Spekulanten: Der Kauf einer Eigentumswohnung wird steuerlich genauso belohnt wie ein Neubau. „Ein Unding“, meint Jutta Oesterle-Schwerin. Dies nicht nur aus sozialen Gründen. „Ein Haushalt in einer Eigentumswohnung verbraucht immer mehr Fläche als einer in einer Mietwohnung, deshalb vergrößert das die Wohnungsnot für alle.“ Die Grünen wollen den entsprechenden Paragraphen abschaffen.
Den Kauf von Eigentumswohnungen steuerlich unattraktiv zu machen, kann sich auch Dr. Kansy vorstellen. Veränderungen des Mietrechts allerdings kommen für die CDU nicht in Frage. „Wir stehen von beiden Seiten unter großem Druck: Für die einen sollen wir das Mietrecht verstärken, für die anderen lockern. Wir wollen keiner Seite nachgeben“, verteidigt Dr. Kansy die Linie seiner Partei. Man kann nur hoffen, daß Bauministerin Hasselfeldt (CSU) dies auch so sieht. Eine generelle Lockerung des Mietrechts werde es nicht geben, so Frau Hasselfeldt letzte Woche, Änderungen in Einzelbereichen dagegen schloß sie nicht aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen