: Vollzug eines Abschieds
Zu Otto Schilys Weggang von den Grünen ■ K O M M E N T A R E
Der Beschluß der NRW-Grünen vom letzten Wochenende, Schily keine dritte Kandidatur für den Bundestag zu ermöglichen, trägt sicher zum Parteiaustritt bei, ist aber nicht ursächlich. Dazu sind die Gespräche mit der SPD wohl schon zu lange gelaufen, um dies als Reaktion einer beleidigten Leberwurst zu werten. Der Abschied aus der Partei war vielmehr ein Prozeß, der sich seit langem in der Bundestagsfraktion in einer unübersehbaren Resignation ausdrückte. Seine Auftritte in der Fraktion haben Seltenheitswert, Zustimmung erntete er selten. Letztes Beispiel war die deutschlandpolitische Debatte, wo Schily im Gegensatz zur offiziell bei den Grünen vertretenen Zweistaatlichkeit auch eine Wiedervereinigung nicht ausschließen mag. Die Partei und Otto Schily haben sich entfremdet. Verantwortlich sind beide Seiten: Seine Eitelkeit, seine Arroganz und eine spürbare Verachtung für das einfache Parteivolk war Verstärker der Ablehnung zugleich aber sein Reflex auf die bei den Grünen immer noch mit Lust betriebene Demontage von Prominenten. Der Versuch des extremen Individualisten Schily, der in einer Partei Nähe suchte, die in ihrem Menschenbild auf unauffällige Konformität gepolt ist, hatte längst seine Schmerzgrenze überschritten.
Dennoch haftet seinem Austritt etwas Paradoxes an: Er kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem sich das von ihm vertretene Politikkonzept in der Partei weitgehend durchgesetzt hat ob bei der rot-grünen Option oder bei der Ausgrenzung der Radikalökologen und Ökosozialisten. In den nicht unerfolgreichen Versuchen des gegenwärtigen Vostands, die Partei zu konsolidieren und freizuhalten vom zerstörerischen Strömungshickhack der Vergangenehit - trotz gelegentlichen Rückfalls wie bei der Vorbereitung des Strategiekongresses aber spielte Schily keine Rolle mehr. Die Partei hat sich gehäutet, und Schily ist wie die abgestoßene Hülle zurückgeblieben. Der große Strömungsstreit hat nicht nur Jutta Ditfurth ins Abseits gebracht, sondern auch auf der Realo-Seite sein Opfer gefunden.
In der Wahrnehmung der Öffentlichkeit aber ist Schily immer noch der überzeugende Vertreter einer profilierten liberalen Rechtspolitik, dessen Weggang die Partei Stimmen kosten wird. Dies vor allem, weil die gewandelte Partei sich noch nicht in unverwechselbaren Persönlichkeiten ausdrückt. Daß diese notwendig sind, galt selbst in den Zeiten, als die Grünen meinten, sie könnten auch einen Besenstiel aufstellen, um Stimmen zu kassieren - heute gilt das erst recht. Ein Teil der Partei mag aufatmen, aber die Diskussion, was mit dem bürgerlichen Spektrum von Grünen -Wählern passiert, das Schily an die Partei band, steht noch bevor. Sich zu freuen, daß nun die Partei geschlossener dasteht, dazu besteht jedenfalls kein Grund, wenn nicht gleichzeitig die Frage beantwortet wird, wie dem in den letzten Monaten feststellbaren Bedeutungsverlust der Partei in der Öffentlichkeit - trotz rot-grüner Bündnisse begegnet werden kann.
Gerd Nowakowski
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen