: Poker um neues Ausländergesetz
Bayern sieht „grundsätzliche Differenzen“ zum Bonner Gesetzentwurf / Einhellige Kritik von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und Ausländerbeauftragten an restriktiven Plänen / Innenministerium übt sich im Spagat / SPD könnte zum Zünglein an der Waage werden ■ Von Vera Gaserow
Berlin (taz) - Der Gesetzentwurf für ein neues Ausländergesetz, eines der vielen „Jahrhundertwerke“, das die Regierungskoalition unbedingt noch in dieser Legislaturperiode über die Bühne bringen will, ist hinter Bonner Ministerientüren heftig umkämpft. Ende letzter Woche wurde ein 17seitiger Brief des bayerischen Innenministers Stoiber an Bundesinnenminister Schäuble bekannt, in dem Bayern „schwerwiegende Probleme“ bei dem umstrittenen Referentenentwurf sieht und die Ausräumung „grundsätzlicher Differenzpunkte“ an dem dickleibigen Gesetzeswerk verlangt. Gleichzeitig verschärft sich aus der entgegengesetzten Richtung die Kritik beinahe aller gesellschaftlichen Gruppen, die mit dem Ausländerproblem befaßt sind.
Während Bayern vor allem auf der programmatischen Feststellung beharrt, daß die Bundesrepublik kein Einwanderungsland sei, und noch schärfere Ausweisungsmöglichkeiten für Ausländer verlangt, wehren sich Wohlfahrtsverbände, Kirchen und die Ausländerbeauftragten der Länder gegen den „Abschottungscharakter“ und die „kleinlichen Reglementierungen“ des geplanten neuen Ausländerrechts.
Nach Informationen der taz soll das Bundesinnenministerium auf einer Referentenbesprechung mit den Vertretern der Ländern am vergangenen Donnerstag in einigen Punkten Zugeständnisse gemacht haben, die diesen Bedenken Rechnung trägt. So soll bei der jetzt anstehenden überarbeitung des Gesetzentwurfs ein Bleiberecht für minderjährige Ausländer geschaffen werden und die bisher vorgesehene diskriminierende Familienaufenthaltsregelung entfallen. Darüber hinaus soll die Einreise eines Ausländers ohne gültiges Visum nicht mehr automatisch ein Ausweisungsgrund sein. Auch bei Fragen der Familienzusammenführung soll das Innenministerium den SPD-regierten Bundesländern Zugeständnisse signalisiert haben. Im breiten Spagat bemüht sich Schäuble jedoch gleichzeitig um eine Verständigung mit der CSU. Auf Staatssekretärs- und Abteilungsleiterebene, in Anhörungen und Tagungen wird beinahe täglich um Einzelpunkte des Gesetzespaketes gefeilscht. Die Zeit drängt. Damit das strittige Gesetz noch in dieser, möglicherweise letzten Legislaturperiode der konservativ-liberalen Koalition verabschiedet werden kann, müßte es am 15. November vom Kabinett beschlossen und sofort im Bundesrat eingebracht werden.
Gelingt der Spagat zwischen den Kritikern von beiden Seiten nicht, könnte es im Bundesrat zu einer brisanten Konstellation kommen: Schert Bayern aus, weil das Gesetz ihm zu freizügig ist, hätte die SPD den Schwarzen Peter. Die Sozialdemokraten müßten dann entscheiden, ob sie als Opposition dem Regierungsentwurf den Segen erteilen wollen. In dieser prekären Frage sind sich Fraktion und Partei längst nicht einig, und auch einige sozialdemokratische Bundesländer liebäugeln zumindest mit der Idee, das neue Ausländergesetz jetzt unter Dach und Fach zu bringen, um es im Fall eines möglichen Regierungswechsels nach den Bundestagswahlen „nachzubessern“.
Im Bundesinnenministerium gibt man sich derweil zuversichtlich, daß der Brückenschlag gelingt. Man befinde sich in einer „ganz selbstverständlichen Abstimmungsphase“, kommentiert der Sprecher des Ministeriums das Gezerre. Auch bei der Ausländerbeauftragten des Bundes hofft man auf eine Einigung. „Bei allem Unbehagen meinen wir nicht, daß das Gestz scheitern sollte“, hieß es gestern aus dem Büro von Lieselotte Funcke (FDP). Schärfere Töne kommen dagegen von der Berliner Ausländerbeauftragten Barbara John (CDU). Für Ausländer bedeute der vorliegende Gesetzentwurf ein „Status quo minus“. Die einzelnen Länder würden „an die kurze Leine gelegt“ und in ihrem Bemühen für eine humane Ausländerpolitik „zurückgeworfen“, urteilt John. Wenn es nicht noch zu wichtigen Veränderungen komme, dann sei „kein Gesetz immer noch besser als dieses“.
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