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Im Gepäckwagen nach Bremen-Vegesack

■ „Bundesbahn fehlt der Wille, für Behinderte akzeptabele Reisemöglichketen zu schaffen“

Der Schalter mit der Aufschrift „Reisegepäck“ ist erste Anlaufstation im Bremer Hauptbahnhof. Mit dem Lastenaufzug geht es von dort hoch auf Gleis 6, zum Nahverkehrszug nach Bremen-Vegesack. Befördert werden sie im letzten Waggon, dem Gepäckwagen. Kleine Fenster, kahle Wände, keine Heizung. Stationen einer Verschickung. Vom Gros der Bahnreisenden gar nicht wahrgenommen, von den Betroffenen als alltäglicher Skandal bitter beklagt. Auf die „besonders katastrophale Situation“ für RollstuhlfahrerInnen wollten das Bremer Fahrdienst-Forum und die Landesarbeitsgemeinschaft „Hilfe für Behinderte“ hinweisen

und luden zu einer Bahnfahrt vom Hauptbahnhof nach Vegesack ein.

Beförderung

„als

Gepäckstück“

„Für mich ist das beklemmend“, sagt Wolfgang Schnakenberg. „Eine halbe Stunde muß ich vor Abfahrt des Zuges am Bahnhof sein und Bescheid sagen, trotzdem klappt das manchmal nicht.“ Er ist schon ein paarmal zurückgeblieben, weil das Bahnpersonal zu viel zu tun hatte, ihn schlicht vergaß oder mit der Rampe nicht klarkam. Denn noch immer muß in Bremen, der Stadt mit dem bun

desweit beachteten Modellversuch mit behindertengerechten Gelenkbussen, eine schwere Rampe auf den Bahnsteig geschleppt werden, will ein Rollstuhlfahrer den Zug benutzen.

Und das scheint sich auch in Zukunft nicht zu ändern. Denn trotz zweier eindeutiger Bürgerschaftsbeschlüsse, die künftige City-Bahn so auszustatten, daß sie von „mobilitätsbehinderten Fahrgästen“ selbständig genutzt werden könne, sieht der geplante Vertrag zwischen dem Bremer Verkehrssenator und der Deutschen Bundesbahn dies nicht vor. „Böswilligkeit“ vermutet Horst Frehe, rollstuhlfahrender Bürgerschaftsabgeordneter der Grü

nen mittlerweile hinter der Politik der Deutschen Bundesbahn. Wo anderen noch Gedankenlosigkeit unterstellt werden könne, herrsche dort der blanke Unwille, eine behindertengerechte Verkehrsplanung zu planen und zu betreiben.

RollstuhlfahrerInnen unerwünscht

Auf der Route nach Vegesack wird deutlich, welche besonderen Anstrengungen von RollstuhlfahrerInnnen verlangt werden, die den Personennahverkehr in Anspruch nehmen wollen. Der erster Halt in Walle: RollstuhlfahrerInnen sind hier ganz offensichtlich unerwünschte Personen. Kein Fahrstuhl, kein Personal, das helfen könnte, keine Rampe, kein Hubwagen. Das Bild wiedrholt sich. Egal ob in Oslebshausen, St. Magnus oder Schönebeck: überall gibt kleine Hindernisse, die das Reisen für RollstuhlfahrerInnen unmöglich machen. Ver

setzte Gitter, steile Treppen, zehnprozentige Steigungen oder die breite Autostraße. In Burg, wenigstens das, ist der Einbau eines Fahrstuhles geplant - bis 1991 oder 1992. In Lesum kommt man mit dem Rollstuhl zwar auf den Bahnsteig, aber nicht in den Zug - keine Rampe. Die gibt es erst wieder in Vegesack. Aber nur bis 18 Uhr, danach kommen RollstuhlfahrerInnen auch hier nicht mehr aus dem Gepäckwagen.

Das ziellose Starren aus großen Fenstern, das beiläufige Registrieren fremder Gespräche oder der flüchtige Blick in andere Gesichter - von all diesen Annehmlichkeiten des Bahnfahrens sind die RollstuhlfahrerInnen hermetisch abgeschlossen - im Ge päckabteil.

Beispiele aus anderen Städten, so führten sie gestern an, belegten aber, daß es auch anders gehe - wenn der politische Wille vorhanden ist.

anh

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