: MOBILES WACHSTUMSTRAINING
■ Gebärmuttersöhnchen: Automännlichkeitswahn aus der Sicht der Feministin
In der psychoanalytischen Literatur, in Erfahrungsberichten aus der noch kleinen Männerbewegung und in feministischen Untersuchungen (...) wird männliche Sexualität, „Männlichkeit“ als etwas beschrieben, das eng mit Auflösungsängsten (...) verknüpft ist. Wenn das Selbstbild als Mann so eng mit Selbstbeherrschung, Disziplin, Selbstkontrolle verbunden ist, dann ist es bedrohlich, seiner selbst nicht mehr mächtig, überwältigt zu sein. Gehen wir einmal davon aus, daß an diesen Beobachtungen etwas dran ist, so könnte das Autofahren, das Rasen ein Erlebnismodell darstellen, das mit dieser psychischen Konstellation von (...) Angst und Selbstkontrolle auf spezifische Weise umgeht. Es vermittelt Lustgefühle, narzißtische Potenzgefühle durch die Kraft der Maschine und deren Aktion, über deren Anfang, Verlauf und Ende mann selbst entscheidet. Lust, die an der Grenze zwischen Macht und Ohnmacht entsteht, narzißtische Lust an der Kontrolle über die Maschine und Furcht vor Kontrollverlust: Angstlust.
Angstlust, so haben Mediziner herausgefunden, kann süchtig machen. Der Blutdruck steigt, im Blut nimmt der Anteil an Adrenalin (dem Streßhormon) zu, zugleich schützt sich das Gehirn durch körpereigene Wirkstoffe, die Endorphine, die chemische Verwandte des Morphiums sind. Endorphine dämpfen die Angst und schenken Glücksgefühl. „Wenn ein unmerkliches Beugen der Fußspitzen genügt, um Kräfte zu entfesseln, die jene des Fahrers um ein Vielfaches vergrößern, die ihn davonschießen lassen, obwohl er seine Muskeln kaum angespannt hat, dann drängt es sich vom technischen Zuschnitt her auf, Machtgefühle gerade im Auto zu suchen.“ (Wolfgang Sachs, Die Liebe zum Automobil, S.137)
Stärke, Macht und (Selbst-)Kontrolle - diese Erfahrungskonfiguration hat offenbar eine besondere Attraktivität für Männer. In all diesen Dimensionen scheint das Tempomobil ein Gegenstand zu sein, der dem Mythos der Männlichkeit Nahrung gibt, indem er ihm Ausdruck verleiht und ihn zugleich bekräftigt.
Was seine Faszination erhöhen und vergleichbare Konkurrenz aus dem Felde schlagen mag ist, daß es (anders als z.B. das Motorrad) gleichzeitig zwei Bedürfnisse (aus dem hier behandelten Spektrum) erfüllt: die Potenzbegehren des Mannes und die Geborgenheitsbedürfnisse des Babies: „Man kann sich so wohlig, fast wie in den bergenden Mutterschoß zurücksinken lassen, umfangen von summender Technik und hautnaher Bequemlichkeit und doch gleichzeitig eine Macht und Kraft verspüren wie sonst selten im Leben.“ (Sachs, S.157)
Diese spezifische Kombination von (...) Omnipotenz und Kontrolle ist - so meine ich - im Grunde ein onanistisches Erlebnismodell. Auto-Erotik im wahrsten Sinne des Wortes. Sie verträgt kein zweites Subjekt mit Eigenwillen, mit eigenen Entäußerungsbedürfnissen und Wünschen, keine aktiv Mit-Reisenden. Hier drängen sich Parallelen zum traditionellen Konzept männlicher Sexualität auf, das von der Frauenbewegung gründlich kritisiert worden ist. (...) Dem Männlichkeitsmythos liegt meiner Meinung nach ein onanistisches Sexualitätsmodell zugrunde. Am Autofahren läßt es sich - betrachtet man es unter dem Aspekt der Sexualisierung - wiederfinden.
Wenn wir (...) davon ausgehen, daß sie Dinge, mit denen wir umgehen, uns tiefgreifend prägen, bis in die Gefühlswelt und Triebstruktur hinein (...), so ist das Automobil sicher ein Gegenstand, der u.a. bestimmte Verhaltensdimensionen stützt oder ihnen - auf sozial akzeptierte Weise - Ausdruck zu verleihen erlaubt, die von Frauen in anderen Zusammenhängen als sexistisch erlebt werden: Potenzprotzerei, Machtgebahren, Instrumentalisierung. Die jeweilige Ausprägung hängt jedoch von einer Vielzahl von Faktoren ab, u.a. auch dem, was als „kulturspezifisches Verkehrsverhalten“ geschildert wird.
Bei der Betrachtung des Autos als sexualisiertem Produkt ist es wichtig, zwei Dimensionen deutlich zu unterscheiden. Sie stehen miteinander zwar in Beziehung, müssen aber - vor allem in Hinblick auf geschlechtsspezifische Erlebnisweisen des Autofahrens - unterschieden werden:
-das Auto in seinen technischen Eigenschaften (wie PS -Zahl, Beschleunigung usw.) und
-der kulturelle Symbolgehalt des Autos.
Beispiele aus der Werbung haben den symbolischen Zusammenhang zwischen dem Auto und dem „Männlichkeitsmythos“ gezeigt. Technische Eigenschaften des Autos werden mit solchen Bedeutungen (Potenz, Stärke, Länge, Kraft) aufgeladen. Das heißt, auch wenn Frauen beim Autofahren Schnelligkeit und Stärke des Fahrzeugs narzißtisch genießen können, bedeutet es für sie als Frauen etwas anderes als für Männer, die stärker unter dem normativen und affektiven Druck stehen, sich selbst, andern Männern und auch den Frauen „Männlichkeit“ zu beweisen. Das Auto lädt damit Männer ständig ein, den Mythos zu inszenieren, den sie darstellen sollen.
Gudrun Axelis-Knapp, Ausschnitte aus „Auto-Erotik Sexualisierung und Sexismus“, erschienen im Buch „Welche Freiheit brauchen wir? - Zur Psychologie der AutoMobilen Gesellschaft“, VAS Verlag, Berlin, herausgegeben von den Grünen im Bundestag
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