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Vom Glanz einer Niederlage

Sampdoria Genua-Borussia Dortmund 2:0 (Hinspiel 1:1) / Mit dem Fanbus Nummer 37 nach Italien  ■  Aus Genua Roger Krenz

Das „Wunder von Genua“ fand nur in den Köpfen der Fans statt. Als sich am Dienstag abend die Busse nach Italien in Bewegung setzten, waren die Borussen-Fans noch voller Optimismus. In einem Anflug kollektiver Kühnheit zweifelte niemand im Bus Nummer 37 am Weiterkommen der Borussia. Zwar hatten alle Experten den Schwarzgelben nach dem unglücklichen 1:1 im Hinspiel das „Aus“ vorausgesagt, doch den richtigen Fan stört dies wenig. Warum sollte er sich sonst zwei Nächte um die Ohren schlagen?

Für die fünfzehnstündige Busfahrt hatten sich die Dortmunder Anhänger dann auch entsprechend verproviantiert. An Dosenbier herrschte wahrlich kein Mangel und auch für Kurzweil war gesorgt; alte Gesänge wurden schnellstens auf eine italienische Variante umgedichtet. Besonders beliebt war ein Spiel, bei dem jeder, der den Namen eines in Dortmund besonders unbeliebten Gelsenkirchener Vorortvereins nur auszusprechen wagte, mit einem Fünfer zur Kasse gebeten wurde. Als der Bus schon die Schweiz erreicht hatte, wollten die meisten dann aber doch noch ein paar Stunden schlafen, um für den anstrengenden Spieltag die Kräfte zu schonen. Allerdings hatte sich eine kleine, aber lautstarke Gruppe auf den hinteren Sitzreihen derart in Stimmung getrunken, daß kaum jemand ein Auge zutun konnte.

Noch etwas benommen registrierte man daher die ersten Eindrücke der italienischen Landschaft, die die meisten der Fans dank Borussia zum ersten Mal in ihrem Leben zu Gesicht bekamen. Vollends in Erstaunen versetzte dann das von außen futuristisch anmutende Stadion. Wenngleich für die Weltmeisterschaft 1990 im Inneren hochmodern ausgestattet, wird das Bauwerk künftigen Generationen als Mahnmal architektonischer Grausamkeit und Stadtverschandelung dienen.

Aus der gesamten Bundesrepublik angereist, versuchten die Anhänger der Borussia schon zwei Stunden vor dem Spiel die Arena „Luigi Ferraris“ in die Südtribüne des heimischen Westfalenstadions zu verwandeln. Und wie bei einem Heimspiel legte die Borussia von Beginn an los wie die Feuerwehr. Bei den hochkarätigen Chancen der Schwarzgelben durch Zorc, Mill und Kroth blieben den 35.000 Samp-Tifosi die Anfeuerungsrufe zunächst in der Kehle stecken. Einen Teil der 3.000 Borussia -Fans, der aus ominösen Gründen auf der Haupttribüne Platz nehmen mußte, hielt es nun nicht mehr auf den ohnehin ungewohnten Plastiksitzen. Mit standing ovations verabschiedeten sie ihre Lieblinge, die bis dahin hervorragend gespielt hatten, in die Halbzeitpause.

Aber auch nach dem Wechsel kam die italienische Hintermannschaft kaum zur Ruhe. Angetrieben vom unermüdlichen Michael Lusch, der den in Italien heftigst umworbenen Jungstar Andy Möller alt aussehen ließ, erspielte sich die Borussia eine Chance nach der anderen. Welche internationale Erfahrung Sampdoria Genua besitzt, zeigte sich aber schließlich im blitzschnellen Konterspiel gegen eine immer riskanter agierende Dortmunder Elf. Als Helmer Vialli im Strafraum von den Beinen holte, erhielten die Italiener den Lohn für ihren glänzenden Abwehreinsatz. Vialli schlenzte den Elfmeter selbst ins Netz und sein zweites Tor kurz vor dem Ende war dann nur noch Formsache. Eine in beiden Spielen überragende Borussia war letztlich daran gescheitert, daß sie aus einem Dutzend Chancen nur ein Tor erzielt hatte.

Absolut rührende Szenen spielten sich dann nach dem Schlußpfiff ab. Noch eine halbe Stunde nach Spielende feierten die BVB-Fans ihre Mannschaft (und natürlich sich selbst), als sei soeben die Deutsche Meisterschaft gewonnen worden. Als dann die italienischen Tifosi applaudierend vor den Zaun des Dortmunder Blocks zogen, kannten Verbrüder- und Verschwesterung keine Grenzen mehr. Fahnen und Schals flogen zum Tausch hin und her. Das Phänomen Borussia Dortmund hat inzwischen eine Eigendynamik erreicht, der sich nicht einmal italienische Yuppies entziehen können.

Auf der anderen Seite telefonierten hartgesottene Trunkenbolde mit Tränen in den Augen den Abgesang auf ein Fußballspiel, von dem sie an langen Kneipenabenden immer wieder berichten werden. Was zählen da die schlappen fünfzehn Stunden Busfahrt nach Hause.

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