: Warum wird mit harter Arbeit nur weiches Geld erwirtschaftet?
Wie „weich“ ist die DDR-Mark? - Die Kosten der Wende und der Wechselkurs ■ D O K U M E N T A T I O N
Unsere Zukunft wird teurer werden. Allein die neue Reisefreiheit wird in die (Devisen-)Milliarden gehen. Ob man dafür allerdings Bonn zur Kasse fordern sollte, wie es Prof. Otto Reinhold vorschlug angesichts des wirtschaftlichen Aderlasses, den uns die Ausreisewelle bringt, erscheint fragwürdig. Das Bild, wonach diese und die vielen weiteren zusätzlichen Ausgaben, die jetzt allerorts zur Finanzierung der Wende, des aufgebrochenen Nachholbedarfs von Bevölkerung und Volkswirtschaft, Gesundheits- und Sozialwesen entstehen, ein Loch in die Devisenkasse reißen werden, ist nicht geeignet. Staatssekretär Schalk - und er sitzt ihm im Nacken, wie er zu Wochenbeginn vor der Adlershofer AHA -Kamera agierte - kennt nach eigener Andeutung den Valuta -Sack. Er sei leer, habe ich verstanden.
Patentrezepte dafür, wie sich das alsbald ändern ließe, dürfte es nicht geben. Auch Prof. Reinhold - erneut in aktueller Fernsehrunde - konnte aus der landläufigen Wirtschaftswissenschaft keines nennen. Die Frage nach den Devisenbilanzen unserer Volkswirtschaft wurde nicht beantwortet. Ebenso wie bei den Umweltdaten, die jetzt aus den Panzerschränken auf den Tisch kommen sollen, wird es gut sein, sich auf Rechenschaft über Einnahmen von harter Währung und ihre Verwendung vorzubereiten. Aber davon werden es - zumindest zunächst - nicht mehr.
Überhaupt: „Harte Währung“? Was haben wir denn? Die DDR realisiere im Export derzeit einen durchschnittlichen Kurs zur D-Mark von etwa 4,2, hieß es bei AHA. Die Gründe dafür dürften wohl nicht nur in technischen Rückständen, überholten Sortimenten und dem bisherigen Unvermögen liegen, modernes Marketing zu organisieren. Die Frage, warum wir mit harter Arbeit nur weiches Geld erwirtschaften, und ob das so bleiben muß, muß in aller Schärfe auf die Tagesordnung.
Aber zurück zu den kurzfristigen Wendekosten. Schalk hat recht: Ein Staat muß liquide bleiben, und Zinsen für Kredite sind teuer. Gerade jetzt sind sie auf dem internationalen Geldmarkt für kurzfristigen Finanzbedarf wieder gestiegen. Dringend nötig ist eine neue Finanz- und Wirtschaftsstrategie unseres Landes, die indessen kurzfristig keine spektakulären Ergebnisse bringen kann. Eine Richtung scheint klar zu sein: konsequente Teilnahme an der internationalen Arbeitsteilung auf dem Wege zur freien Konvertierbarkeit unserer Währung. Bisher ein Reizthema, dem sich die DDR, dem Vernehmen nach, auch in RGW-Gremien nur ungern gestellt hat. Das dürfte anders werden, ließ sich bei Reinhold heraushören.
Arbeitsteilung weltweit, das heißt, daß man das macht, was man am besten kann, wofür im eigenen Lande die besten Voraussetzungen bestehen, die sogenannten Standortfaktoren am günstigsten sind. Und damit macht man dann auch im Ausland gute Geschäfte. So erwirtschaftet man die Mittel, die man braucht, um das zu kaufen, was man nicht selbst erzeugt, für Rohstoffe, Halbfabrikate und Dienstleistungen; zum Beispiel auch Auslandsreisen. Es wäre das das Gegenteil zur Autarkie, der für kleine Länder immer unzulänglichen und sehr teuren Selbstversorgung (mit enormen Sortimentslücken, versteht sich). Auch das einstige „Störfreimachen“ gehört dazu und ähnliche unwirtschaftliche Momentanrezepte, die auf Dauer in die relative Verarmung führen.
Mitmachen bei dieser internationalen Arbeitsteilung, als Basis des Wohlstands modern geführter Volkswirtschaften, das klappt optimal nur dann, wenn die Verkäufer auch im Ausland gerne unser Geld nehmen, wenn unsere Währung vom reinen Binnenzahlungsmittel zur international geschätzten Devise wird. So hart wie unsere Arbeit. Das wiederum setzt voraus, daß man damit von draußen - bei uns - vieles kaufen kann, Dienstleistungen nach Wunsch vorfindet, in unserem Lande eigene wirtschaftliche Aktivitäten entfalten kann, Zugang zu unserem Arbeitsmarkt erhält, Grund und Boden, Wohnungen zumindest mieten kann usw.
Teillösungen - auch die Vorstellung, mit einer „Konvertierbarkeit“ der RGW-Währungen zu beginnen, gehört dazu - werden immer nur Teilerfolge bringen können und Unterbewertungen unserer Währung zur Folge haben. Wenn auch nicht im derzeitigen Wechselstubenkurs von 1:11, der ohne beträchtliche - natürlich illegale - Geldflucht aus unserem Lande und Manipulationen von potenten Besitzern unserer Währung, die Devisenkontrollen umgehen können, nicht denkbar ist. So „weich“ ist unsere Mark auf keinen Fall. Vielmehr zählt sie - als Binnenwährung - im eigenen Lande, in vielen Bereichen als Folge der sozial motivierten Subventionspolitik, sogar zu der härtesten der Welt.
Lutz Rackow
Aus: 'Der Morgen‘, Zentralorgan der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands, vom 2.11.1989
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