: „Weg mit dem häßlichen Pickel“
■ Betreute Jugend-WG in in der Kurfürstenstraße soll aus Gebäude von „Foto Wegert“ weichen - und zerschlagen werden / Aussiedler bringen mehr Miete
„Für die sind wir doch nur eine Akte, die sie bequem verschieben können“, resigniert Nicole. Die 18jährige Zahnarzthelferin fühlt sich vom Jugendamt Reinickendorf im Stich gelassen, genauso wie ihre vier MitbewohnerInnen aus der WG „Fuchsstein“. Die fünf sollen nämlich aus ihrer Acht -Zimmer-Jugend-WG in der Kurfürstenstraße 33 in eine 31/2 -Zimmer-Wohnung im Märkischen Viertel und eine Zwei-Zimmer -Wohnung in Spandau umziehen. Dem hat das Bezirksamt Reinickendorf zugestimmt, obwohl der Mietvertrag noch bis 1992 läuft. Die Begründung von Jugendstadtrat Richter (SPD): „Weil jetzt noch gute Chancen bestehen, guten Wohnraum zu finden.“
Das Haus in der Kurfürstenstraße 33 ist bekannt. Hier wohnten einmal nur betreute Jugend-Wohngemeinschaften. 1987 kündigte ihnen der neue Eigentümer, die Firma Wegert, wegen Eigenbedarfs. Inzwischen steht hier ein Wohnheim für 120 bis 130 Aus- und Umsiedler. Alle WGs bis auf die WG „Fuchsstein“ sind ausgezogen, haben sich aufgelöst oder neue Unterkünfte gefunden. Jetzt sieht es so aus, als hätte der Pächter von Foto Wegert, Norbert Rollfing, das Jugendamt Reinickendorf überzeugt, auf die Kurfürstenstraße zu verzichten, ohne daß entsprechender Ersatz zur Verfügung steht. Von genau dieser Auflage hatte seinerzeit das Landesamt für Zentrale soziale Aufgaben die Zustimmung für die Betreibung eines Um- und Aussiedlerheimes abhängig gemacht.
Der Wohnungs-Wirtschafts-Dienst (WWD) von Norbert Rollfing hat allen Grund, die Jugendlichen schnellstens aus seinem Haus herauszubekommen: „Ihr seid wie ein häßlicher Pickel in meinem Haus. Wegen Euch verliere ich 1.000 Mark am Tag!“ hätte er ihnen gesagt, empören sich die Jugendlichen. „Hinterlistig“ sei er vorgegangen, schildern sie. Erst sei er ihnen „nachgestiegen“, um sie zu überreden, sich bei ihm um eine Wohnung zu bewerben. Dann wäre er zum Bezirksamt gegangen und hätte dort argumentiert, die Jugendlichen wollten ausziehen. Mit der Zustimmung des Jugendamtes im Rücken hätte er sie dann als „Hampelmänner“ bezeichnet. Aber nur Christopher hatte sich beworben. Er hat dies inzwischen rückgängig gemacht. Denn die Jugendlichen wollen alle zusammenwohnen bleiben. Sie kommen aus Heimen, vom Jugendnotdienst oder aus dem Libanon und brauchen Betreuung. Sie fürchten um ihren mühselig errungenen Ausbildungplatz.
Norbert Rollfing streitet dies ab und sieht das Ganze als einen Interessenskonflikt. Fünf uneinsichtige Jugendliche, von ihren Erziehern manipuliert, blockierten Wohnungen für 30 Aussiedler. Die Jugendlichen wollen aber nur in einer entsprechenden Wohnung, wie sie ihnen zustehe, zusammenbleiben. Notfalls würden sie gar zu fünft in eine 31/2-Zimmer-Wohnung ziehen.
Ulli Joßner
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