Die Katharsis ist noch nicht zu Ende

■ In Griechenland stellt sich morgen die Links-Rechts-Koalition der „Reinigung“ den WählerInnen

Andreas Papandreou ist - politisch - nicht totzukriegen. Drei Monate lang hat die Koalitionsregierung von Kommunisten und Konservativen nach ihrem Wahlsieg vom Juni einen Skandal nach dem andern aufgedeckt, den die vorherige Regierung des Sozialistenchefs zu verantworten hat. Doch der will wieder Ministerpräsident werden. Seine Aussichten auf eine Mehrheit sind gering, aber wer nach den morgigen Wahlen miteinander koalieren kann und will, steht noch in den Sternen.

Die Menge auf und um den Syntagmaplatz im Zentrum Athens Hunderttausende, die aus fast allen Ecken Griechenlands herangeströmt sind - bricht in Jubel aus, als der Sozialistenchef und ehemalige Ministerpräsident Andreas Papandreou auf der Tribüne erscheint. Tausende von grünen Plastikfahnen werden geschwenkt, Feuerwerkskörper knallen in der Luft. Dann, als der umstrittene 70jährige Politiker wieder einmal allen alles verspricht und gegen seine konservativen wie kommunistischen Gegner wettert, geraten die Massen in einen Rausch.

Aber die riesige Wahlkundgebung der Sozialisten vom vergangenen Sonntag ist die Ausnahme. In einem Land, in dem politische Auseinandersetzungen stets leidenschaftlich geführt wurden, verläuft der Wahlkampf dieses Mal erstaunlich ruhig. Manche sprechen gar von einer Apathie der Wähler. Doch der Augenschein trügt. Am Vorabend der Wahlen steckt Griechenland in seiner schwersten politischen, wirtschaftlichen und moralischen Krise seit dem Sturz der Diktatur im Jahre 1974.

Die Koalition

der Erzfeinde

Korruption und Machtmißbrauch haben Papandreou bei den Wahlen im vergangenen Juni zu Fall gebracht, aber seinem konservativen Hauptgegner, Konstantinos Mitsotaki, nicht zur absoluten Mehrheit verholfen.

Die daraufhin gebildete Koalition zwischen den Erzfeinden von einst, der konservativen Nea Dimokratia und der kommunistischen „Koalition der Linken und des Fortschritts“

-ein historisches Novum in Europa - hat sich die „Katharsis“ Griechenlands zum Ziel gesetzt: die „Reinigung“, sprich Aufklärung der Skandalaffären und die Beseitigung der Korruption. Vor allem sollte der Regierungschef vor Gericht gestellt werden, unter dessen Ägide sich die sozialistische Pasok zur Skandalpartei entwickelt hatte.

Tatsächlich haben die Parlamentsdebatten im Sommer ernstzunehmende Indizien für eine direkte Verwicklung Papandreous in die Affäre um den betrügerischen Bankier Koskotas sowie in einen schlimmen Abhörskandal zutage gebracht. Aber die gegen den Sozialistenchef erhobene zweifache Anklage wird - wenn überhaupt - erst nach den Wahlen behandelt. Die Sozialisten halten das für eine Verschleppungstaktik - sie hätten es lieber gesehen, wenn Papandreou sich noch vor den Wahlen vor Gericht hätte verteidigen können.

Terroristische Anschläge haben ein übriges getan, die politische Lage zuzuspitzen. Am 26. September ermordete die Untergrundorganisation „17.November“ den Sprecher der Nea Dimokratia und Mitsotakis‘ Schwager Pavlos Bakojannis mitten im Zentrum vom Athen. Und am 21. Oktober wurde auf der Insel Lesbos ein Luftwaffenoffizier, dem Verbindungen zum Geheimdienst nachgesagt werden, von seiner eigenen Bombe zerfetzt, die entweder einer Wahlversammlung der Konservativen oder der Kommunisten gegolten haben kann genau festzustellen war das nicht.

Es gibt zumindest Gerüchte, wonach der „17. November“ der Pasok nahesteht. Der Mann, der diese Ansicht am offensten vertritt, ist der weltbekannte Komponist Mikis Theodorakis, 64. In einem Artikel in der Athener Zeitung 'Eleftherotypia‘ beschuldigte er führende Leute des griechischen Geheimdienstes, unter der Pasok-Regierung die Fahndung nach dem „17. November“ verhindert zu haben. Weil er will, daß die Terrorgruppe endlich ausgehoben wird, kandidiert Theodorakis, früher Abgeordneter für die KP, diesmal für die Konservativen.

Farandouri kandidiert

für die Konservativen

Das war die größte, aber nicht die einzige Sensation bei der Aufstellung der Kandidatenlisten der Parteien. Die Pasok gewann im Gegenzug Maria Farandouri, die fast ebenso bekannte Sängerin der Theodorakis-Musik, sowie andere linke und rechte Persönlichkeiten, die Papandreou nicht mehr an der Regierung sehen wollen.

Andererseits sorgt die Angst vor dem „Thatcherismus“ von Mitsotakis und einem Abbau des sozialen Staates dafür, daß die unteren Bevölkerungsschichten nur noch wenig Interesse für die Skandalaffären aufbringen und sich wieder um die Pasok scharen. Diese Angst vor den Konservativen könnte deren Koalitionspartnerin, das Linksbündnis um die Kommunisten, einen Teil ihres Wählerpotentials kosten, obwohl sie als mitregierende Kraft zur Demokratisierung mancher Institutionen und zur Aufhebung vieler Vorurteile aus der Bürgerkriegszeit wesentlich beigetragen hat.

Prognosen sind schwer, zumal viele Wähler, vor allem Linke, sich noch unentschlossen zeigen. Daß die Nea Dimokratia wieder als stärkste Partei aus den Wahlen hervorgehen wird, bezweifelt kaum jemand. Aber es ist fraglich, ob sie es zur absoluten Mehrheit im neuen Parlament bringen wird, zu der sie 46 bis 47 Prozent der Stimmen bräuchte (gegenüber 44,28 Prozent im Juni). Die kommunistische Koalition wird möglicherweise von ihren 13 Prozent einiges verlieren .

Trotz Papandreous triumphalen Tönen kann die Pasok lediglich hoffen, den Stimmenanteil von 39 Prozent vom Juni zu halten. Dann würde sie wenigstens die 121 Mandate erreichen, die sie für eine Sperrminorität braucht. Im März 1990 wählt das griechische Parlament den neuen Präsidenten der Republik, und der muß laut Verfassung von mindestens 180 der 300 Abgeordneten gewählt werden. Mit 121 Abgeordneten kann die Pasok die Wahl blockieren und so wiederum Neuwahlen erzwingen: die dritten binnen eines Jahres. Schon jetzt hat das Land eine hohe Inflation, ein enormes Haushaltsdefizit und stagnierende Produktion. Die wirtschaftlichen Folgen einer langandauernden politischen Instabilität wären nichtauszudenken.

Keiner will mit keinem

Jedenfalls bleibt unklar, wer mit wem eine Koalition eingehen kann. Die Kommunisten beteuern, daß sie sich nicht auf ein langfristiges gemeinsames Programm mit den Konservativen einigen können. Mit den Sozialisten wollen sie auch nichts gemeinsam haben, solange Papandreou noch an deren Spitze steht. Die Pasok ihrerseits hat ausdrücklich erklärt, sie wolle mit der Linken Koalition zusammenarbeiten. Bliebe noch eine Zusammenarbeit zwischen den beiden großen, tief verfeindeten Parteien - aber die hält in Griechenland niemand für wahrscheinlich.

Dimosthenis Kourtowik, Athen