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DER RAUCHENDE MOPS

■ Joachim Ragoczy bei Bodo Neumann

Der Graphiker und Maler Joachim Ragoczy taucht mit einem Lustmord aus dem Abseits der vergessenen Künstler auf. Rot leuchten die Blutflecke auf der Postkarte, mit der die Galerie Bodo Neumann zu einer ersten Retrospektive von Holzschnitten und Zeichnungen Ragoczys aus den zwanziger Jahren einlud.

Der Lustmord, theatralisches Finale für ein aus dem Gleis geratenes Leben, spukt seit Jack The Ripper Leben hingemetzelt hatte, durch Kunst und Literatur. Der Lustmörder taugte als Studienobjekt für ein auf fremde Perversionen lauerndes Publikum. Bei Wedekind wäscht sich Jack nach dem Mord die Hände, ruft: „Das war ein Stück Arbeit“ und sucht nach einem Handtuch. Auf den beiden Holzschnitten, mit denen Ragoczy dieses Thema bearbeitet, taucht der Mörder einmal seine Hände in die Waschschüssel, einmal wischt er sie an einem Handtuch ab. Gerade die Banalität dieses Vorgangs nach der Bestialität des Mordes und das Zurückkehren des Täters zur Alltäglichkeit machen diesen Moment so grausig. Ragoczy druckte die Holzschnitte jeweils von einem Druckstock und trug mit dem Pinsel rote Farbe auf: So färbt das aus der Leiche quillende Blut das Bett, aus dem der Mörder sein Opfer herausgezerrt hat, beleckt den Fußboden, über den er es geschleift hat und leuchtet in Waschwasser und Handtuch. Die roten Spuren illustrieren auf groteske Art den Ablauf des Mordes; sie hauen mit ungeheurer Wucht aus dem Schwarzweiß des Holzschnitts heraus.

Viele von Ragoczys Holzschnitten erinnern an die todessüchtige Symbolik Eduard Munchs. Alltagsszenen werden zu existentiell bedrohlichen Momenten. Auf Friedhöfen läßt er die Menschen klein zwischen großen Grabhügeln wandeln. In den Gesichtern eines Paares, in großen Flächen aus dem Holz herausgeschabt, scheint die Haut dünn und straff über die Schädelknochen gespannt zu sein und ein innerer Druck die Gesichtsmuskeln zu verzerren. In einer kargen Wirtshausszenerie wirkt die Wand hinter den stumm vor sich hinstarrenden Trinkern wie ein flackernder hysterischer Flecken. Unterdrückte Erregung und das Aus-der-Fassung -geraten-Sein des Menschen spüren zu lassen, gelingt Ragoczy durch die Gestaltung der abgerissenen und absplitternden Flächen, wunde Schürfungen im Holz, die an in ohnmächtiger Wut mit den Fingernägeln ins Holz gekratzte Verzweiflungsspuren eines Menschen erinnern.

Joachim Ragoczy (1895-1975) war eine Randfigur der Berliner Kunstszene der zwanziger Jahre. Er studierte von 1913 bis 1921, unterbrochen durch den Ersten Weltkrieg, bei Emil Orlik, der auch George Grosz, mit dem Ragoczy befreundet war, Hannah Höch und Karl Hubbuch unterrichtet hatte. Für Orlik arbeitete Ragoczy bis zu dessen Tod 1932 als Assistent, Sekretär und Drucker und stellte seine eigene künstlerische Arbeit dahinter zurück. Als Gebrauchsgraphiker entwarf er Buchumschläge, Werbung für Schnupfenmittel und ein Signet der Ufa - einen dicken Mops, der Pfeife raucht und wahrscheinlich zu seinen am häufigsten reproduzierten Arbeiten gehört. Zeitungen illustrierten ihre Artikel mit seinen Skizzen aus Varietes, von der ersten Berliner „Neger -Revue“, von Tänzern und von Chansonetten. Nach Orliks Tod hielt er sich mit Porträt- und Landschaftsmalerei, mit über seine dänische Verwandtschaft vermittelte Aufträge und mit Arbeiten an Glasfenstern wirtschaftlich über Wasser. Zwischen 1942 und 1960 arbeitete er mit langen Unterbrechungen als Bibliothekar an der Hochschule der Künste. Um Ausstellungsbeteiligungen bemühte Ragoczy sich wenig.

Hannes Schwenger und Eberhard Roters lernten Ragoczys Werk, das in der Nachkriegszeit vollends in Vergessenheit geraten war, vor einigen Jahren bei seiner Witwe kennen. Sie verfügte, daß der Nachlaß, der in seltener Vollständigkeit eine künstlerische Existenz der zwanziger Jahre dokumentiert, nach ihrem Tod dem Museum Berlinische Galerie und einer privaten Galerie zugänglich wurde. Schwenger und Roters schrieben die Texte für den ersten Katalog über Ragoczy.

In Ragoczys Aquarellen und Zeichnungen findet sich das Bild einer aufgekratzten und amüsiersüchtigen Großstadt der zwanziger Jahre wieder: frivole Chansonetten, Clowns, Familientage am Strand, kokettierende Kinder. Ragoczy hat seine Aquarellfarben mit viel Wasser gemischt, so daß deren Blässe und Transparenz die Schwerelosigkeit der Szenen noch einmal betont.

In einigen der Selbstporträts gefiel sich Ragoczy in der exaltierten Pose des Künstlers. In einem Holzschnitt von 1927 läßt er in seinem asketischen Schädel mit gespannten Schläfenpartien und kritisch durch die runden Brillengläser blickenden Augen nur den scharfgeschnittenen und festgeschlossenen Mund rot aufleuchten. Doch als Beruf übte er die Kunst immer nur notbedingt aus. Im Alter galt ihm die Malerei neben Modellbau und Zauberei als liebste Freizeitbeschäftigung.

Katrin Bettina Müller

Joachim Ragoczy, Galerie Bodo Neumann, bis zum 3. Dezember.

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